Rede · Christian Dirschauer · 22.02.2024 Menschen mit Behinderungen stehen im Arbeitsleben vor etlichen Barrieren

„Die Zahl der schwerbehinderten Beschäftigten steigt. Und diese Tatsache ist gleichzeitig erfreulich aber eben auch problematisch für die Finanzierung von Unterstützungsleistungen. Absehbar stehen immer weniger Mittel für die begleitenden Hilfen am Arbeitsplatz zur Verfügung.“

Christian Dirschauer zu TOP 15+41 - Menschen mit Behinderungen eine uneingeschränkte Teilhabe am Arbeitsleben sichern (Drs. 20/1851)

Machen wir uns nichts vor: Wenn es um die uneingeschränkte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben geht, liegt noch ein weiter Weg vor uns. Auch und gerade vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention liegen Anspruch und Wirklichkeit oft noch weit auseinander. Wenn wir ehrlich sind, dann stehen Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben sogar fast flächendeckend vor Barrieren. Es ist daher gut und richtig, dass die SPD mit ihrem Antrag die berufliche Existenz von gehörlosen Menschen in den Mittelpunkt rückt. Denn wir alle wissen, dass es unter den Gehörlosen im Land sehr viele gut ausgebildete und motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt und eben auch Potenzielle, die wir gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels dringend brauchen und in den Arbeitsmarkt integrieren müssen. Gleichzeitig ist aber eben auch bekannt, dass diese Menschen aufgrund fehlender Gebärdensprachdolmetschender beziehungsweise aufgrund fehlender oder unterfinanzierter Angebote faktisch vom Arbeitsleben ausgeschlossen werden. 

Aber so bedauerlich die Situation gehörloser Menschen auch ist: Wir müssen uns bewusst machen, dass es sich bei der eingeschränkten Teilhabe dieser Gruppe um ein Beispiel von vielen handelt. Ich will nicht missverstanden werden: Natürlich müssen wir uns dringend um die Probleme rund um das Thema Gebärdensprachdolmetschende kümmern. Auch wir vom SSW sehen den dringenden Bedarf, bei den Honoraren für Dolmetschende anzusetzen und diese endlich auf ein zumindest durchschnittliches Niveau anzuheben. Und natürlich macht es Sinn, landesseitig in die Ausbildung von Gebärdendolmetschenden zu investieren. Aber mit Blick auf den allgemeinen Zugang von Menschen mit Behinderungen zum Arbeitsmarkt gibt es noch deutlich mehr Arbeit. Wie so oft, regeln sich diese Dinge eben nicht durch den Markt oder in diesem Fall durch den Arbeitsmarkt allein. Hier muss auch das Land seine Hausaufgaben machen. 
Auf diese Notwendigkeit weist nicht zuletzt auch unsere Beauftragte für Menschen mit Behinderungen regelmäßig hin. Der gerade im Sozialausschuss vorgestellte Tätigkeitsbericht, für den ich Frau Pries und ihrem Team gerne herzlich danken möchte, zeichnet hier ein durchwachsenes Bild: Zwar ist die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen in den vergangenen Jahren um 6 % gesunken. Was wir natürlich begrüßen, weil demnach auch schwerbehinderte Menschen von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren. Gleichzeitig bleibt diese Zahl aber wieder hinter der Entwicklung der allgemeinen Arbeitslosenquote zurück. Und diese Tatsache lässt sich nun mal kaum anders deuten, als dass sich die unterschiedlichen Teilhabechancen von Menschen mit und ohne Behinderungen am Arbeitsmarkt weiter verfestigen. 

Ein Instrument, um die Chancen von Beschäftigten mit Behinderungen zu verbessern, ist die Ausgleichsabgabe für Unternehmen. Hierzu sind alle Firmen verpflichtet, die über jahresdurchschnittlich mindestens 20 Arbeitsplätze verfügen. Liegt ihre Beschäftigungsquote für schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei unter fünf Prozent, beträgt die Abgabe bis zu 360 Euro monatlich. Die hieraus generierten Einnahmen sind zweckgebunden für die Finanzierung von Fördermaßnahmen für Menschen mit Behinderung zu verwenden. Das ist von der Grundintention her sicher löblich. Gleichwohl führt dieses Instrument in sich aber zu einem Dilemma. Denn eine höhere Beschäftigungsquote hat unmittelbar geringere Einnahmen zur Folge. Je mehr Menschen mit Behinderungen also in Beschäftigung sind, desto weniger Mittel stehen für ihre Förderung in den Betrieben zur Verfügung. 

Ich denke, wenn wir Menschen mit Behinderungen wirklich eine uneingeschränkte Teilhabe am Arbeitsleben sichern wollen, müssen wir an dieses Thema ran. Und zwar dringend. Denn die Zahl der schwerbehinderten Beschäftigten steigt. Und diese Tatsache ist gleichzeitig erfreulich aber eben auch problematisch für die Finanzierung von Unterstützungsleistungen. Absehbar stehen immer weniger Mittel für die begleitenden Hilfen am Arbeitsplatz zur Verfügung. Und genau diese Verknappung kann die Teilhabe am Arbeitsplatz erheblich einschränken. Die Beauftragte verweist in ihrem Bericht völlig zu Recht auf, ich zitiere, „Widersprüche in der Struktur und Systematik des Paragrafen 185 SGB IX hin, die sich auch nicht durch eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe auflösen lassen.“ Aus Sicht des SSW sollten wir der hiermit verbundenen Empfehlung folgen und uns Gedanken darüber machen, wie wir dieses System dauerhaft im Sinne der Menschen mit Behinderungen aufstellen können.

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