Rede · Jette Waldinger-Thiering · 12.10.2023 Hochrisikomanagement für häusliche Gewalt ausbauen
„Es geht nicht um Einzelfälle, so tragisch, grauenvoll und fürchterlich sie auch sind. Wir haben es hier mit einem gesamtgesellschaftlichen und strukturellen Problem zu tun.“
Presseinformation
Kiel, den 12.10.2023
Es gilt das gesprochene Wort
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 27 - Sachstand zu der von der Landesregierung angekündigten Einrichtung eines Hochrisikomanagements (Drs. 20/1474)
Es klingt immer etwas technisch, wenn wir als Politikerinnen und Politiker fordern, die Istanbul-Konvention muss umgesetzt werden.
Deswegen möchte ich noch einmal kurz darauf eingehen, worum es dabei geht.
Die Istanbul-Konvention ist ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.
Sie wurde 2011 als völkerrechtlicher Vertrag ausgearbeitet, 2017 von Deutschland ratifiziert und ist seit Ablaufen der deutschen Vorbehalte im Februar 23 in Deutschland vollumfänglich gültig.
Der deutsche Staat hat sich damit auf allen staatlichen Ebenen dazu verpflichtet, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten.
Warum war das nötig?
Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. In den vorangegangenen Beziehungen versuchen die Täter oftmals Gewalt als Form von Kontrolle auszuüben. Frauen werden getötet, wenn sie sich aus dieser Kontrolle lösen wollen. Diese Gewalt resultiert meist aus Besitzansprüchen, die diese Partner und Ex-Partner oder manchmal auch Verwandte gegenüber den Frauen hegen.
Ebenfalls technisch klingt der Begriff eines Hochrisikomanagements.
Hierbei geht es um Sicherheitseinschätzungen bei häuslicher Gewalt oder in engen sozialen Beziehungen.
Es geht darum, diese sogenannten „Hochrisikofälle“ zu erkennen und schwerste Eskalationen zu verhindern.
Dafür müssen unsere Polizei, Gerichte und Staatsanwaltschaften sensibilisiert sein, personenbezogene Daten zwischen Behörden besser kommuniziert werden, Forschungsergebnisse berücksichtigt werden und schließlich ein gemeinsames, interdisziplinäres Vorgehen aller beteiligten Akteure sichergestellt sein. Beteiligte Akteure sind dabei übrigens auch Kitas und Schulen, denn auch Bildungseinrichtungen müssen mit Gewaltschutzkonzepten umgehen lernen.
Dies alles muss schließlich grenzüberschreitend funktionieren, denn die Fälle hören nicht an Ländergrenzen auf.
Mein Eindruck ist bisher, dass die Landesregierung das gemeinsam mit dem Parlament tut und das auch ernst meint.
Ich habe mich da bislang vom Ministerium gut informiert gefühlt, sowohl in Kleinstrunden, wie auch in den Ausschussterminen meiner Kollegen. Wir wurden über die Pilotphasen ins Bild gesetzt, über die Evaluation der Pilotregionen informiert und schließlich über die Erarbeitung des gemeinsamen Leitfadens und den weiteren Zeitrahmen orientiert.
Das Land setzt hier unter anderem auf das landesweite Netzwerk KIK, das Kooperations- und Interventionsprojekt bei häuslicher Gewalt und wir als SSW unterstützen das.
Ich möchte außerdem auch noch einmal festhalten, dass ich immer wieder sehr dankbar für die Hinweise des Landesverbands Frauenberatung SH bin.
Dieser hat dem Innen- und Rechtsausschuss vorletzte Woche weiterführende Informationen zur Verfügung gestellt und damit einhergehend eine Aufarbeitung der Tötungsdelikte im Kontext Partnerschaftsgewalt gefordert.
Sie weisen darauf hin, dass es nicht reicht, bloß zu ermitteln, wer die Täter sind. Vielmehr muss man darauf schauen, was getan hätte werden können, um diese Taten zu verhindern, um daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.
Gab es etwa Warnhinweise, wie beispielsweise vorangegangene Gewalt und Bedrohung? War diese behördlich bekannt und was wurde von Seiten der Behörden getan, um die Betroffenen zu schützen?
Nur so kann man Schutzlücken erkennen und wirkliche Intervention ermöglichen.
Es gibt viele Fälle, anlässlich derer man den zügigen Ausbau eines Hochrisikomanagements fordern kann und auch muss. Wir alle haben da sicherlich verschiedene auch sehr aktuelle Beispiele im Hinterkopf.
Aber – und das steht für mich hier im Vordergrund:
Diese Taten sind immer im Kontext geschlechtsspezifischer Macht- und Kontrollverhältnisse zu sehen. Es geht nicht um Einzelfälle, so tragisch, grauenvoll und fürchterlich sie auch sind.
Wir haben es hier mit einem gesamtgesellschaftlichen und strukturellen Problem zu tun. Und genau so müssen wir dem auch begegnen.