Rede · Jette Waldinger-Thiering · 22.02.2024 Häusliche und partnerschaftliche Gewalt früher erkennen

„Wir sprechen bei Morden an Frauen von Femiziden, denn ihnen liegt etwas Strukturelles inne. Sie sind Ausdruck eines Menschenbildes, das Frauen abwertet, sie herabwürdigt, sie als Objekte wahrnimmt und als Eigentum betrachtet. Gesellschaft und Staat müssen Frauen besser schützen.“ 

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 22 - Hochrisikomanagement ausweiten und Gewaltschutz effektiver gestalten (Drs. 20/1869)

Ich würde manchmal so gerne sagen: „Wir sind uns doch alle einig, also müssen wir gar nicht darüber sprechen.“ Denn hier in Schleswig-Holstein, in diesem Parlament, sind wir uns einig. Und doch müssen wir darüber sprechen, dringend sogar. 
Denn die gesellschaftlichen Mühlen mahlen langsam. Und ich bin es fast leid, die folgenden Sätze immer und immer wieder zu wiederholen. Jeden Tag versucht ein Ex-Partner oder Partner seine Partnerin zu ermorden. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. 

Zuletzt haben wir im Oktoberplenum 2023 einen Bericht des Ministeriums zum Hochrisikomanagement erhalten. Damals ging es in erster Linie um die Pilotprojekte in Flensburg und Ratzeburg und die Konsequenzen, die daraus gezogen wurden. 
Dieser nun gemeinsam gestellte Antrag ist für mich die Folge daraus. Wir beschließen gemeinsam, dass das Hochrisikomanagement in Schleswig-Holstein auszubauen und ich möchte dafür der Landesregierung, aber auch allen anderen Fraktionen danken. Ich finde, diese Zusammenarbeit ist sehr viel wert und ich bin dankbar für den vertrauensvollen Austausch, den wir in dieser Sache miteinander pflegen. 

Im Hochrisikomanagement geht es darum, Fälle häuslicher oder partnerschaftlicher Gewalt zu erkennen, bevor sie in schwersten Gewalteskalationen enden. 
Ein Befund, der mich regelmäßig stutzen lässt und wütend macht ist, dass das private Umfeld und Behörden in den Fällen schlimmster Eskalationen oftmals über bereits vorgekommene Gewalt informiert waren. So bleibt man eben doch mit dem Eindruck zurück, dass manches hätte verhindert werden können. Das darf sich so nicht fortsetzen. 
Polizei, Gerichte und Staatsanwaltschaften müssen weiter sensibilisiert und personenbezogene Daten besser zwischen Behörden kommuniziert werden. 
Und wir haben einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag. 
Daher sprechen wir bei Morden an Frauen von Femiziden, denn ihnen liegt etwas Strukturelles inne. Sie sind Ausdruck eines Menschenbildes, das Frauen abwertet, sie herabwürdigt, sie als Objekte wahrnimmt und als Eigentum betrachtet. Gesellschaft und Staat müssen Frauen besser schützen. 

Meine Kollegin Beate Raudies hat in der Oktober-Debatte einen sehr prägnanten Artikel der Istanbul-Konvention zitiert, den man auch heute noch einmal wiederholen kann: 
Die Bundesrepublik ist verpflichtet durch gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen sicherzustellen, dass „eine Analyse der Gefahr für Leib und Leben und der Schwere der Situation sowie der Gefahr von wiederholter Gewalt von allen einschlägigen Behörden vorgenommen wird, um die Gefahr unter Kontrolle zu bringen und erforderlichenfalls für koordinierte Sicherheit und Unterstützung zu sorgen“.

Wir als Parlament sind Teil einer staatlichen Verantwortlichkeit zum Schutz vor Gewalt. Die Gründe für häusliche und partnerschaftliche Gewalt und vor allem eben auch Gewalt gegen Frauen sind vielschichtig und ebenso vielschichtig und kompliziert kann es sein, betroffenen Frauen und ihren Kindern zu helfen. Frauenhausbedienstete haben oft Schwierigkeiten, die Frauen unterzubringen und in Wohnungen Plätze zu finden. Der nicht ausreichend vorhandene bezahlbare Wohnraum, der Personalschlüssel in den Frauenhäusern und die Finanzierung von Schutzwohnungen sind weitere Punkte, um die wir uns ungebrochen kümmern müssen. 

Es ist daher richtig, dass wir es mit dem vorliegenden Antrag nicht bei einem Handlungsauftrag an die Regierung belassen, sondern die Landesregierung bitten, dem Landtag im ersten Quartal 2025 über die Umsetzung der Ausweitung des Hochrisikomanagements zu berichten. Das ist in genau einem Jahr und bis dahin bietet sich ein Zwischenbericht im Ausschuss an. Lassen Sie uns weiter so gut zusammenarbeiten und beim Gewaltschutz in Schleswig-Holstein vorankommen. 

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