Rede · Christian Dirschauer · 18.07.2024 Funktionierende Strukturen dürfen nicht zu Tode reformiert werden
„Die Beratungsstellen werden alle von etablierten Trägern getragen, die ihre Arbeit gut machen, auch hier sehe ich keinen Handlungsbedarf. Also frage ich mich: will das Ministerium durch die Hintertür Mittel einsparen? Will man vermeintlich teure Träger vor die Tür setzen, die Tariflöhne bezahlen, weil andere ein günstigeres Angebot machen?“
Christian Dirschauer zu TOP 28 - Den Förderaufruf für die Beratungsstellen Frau & Beruf stoppen (Drs. 20/2331)
Den Förderaufruf anhalten! Als ich das las, dachte ich: oh Mann, was ist denn da schief gegangen? Als ich dann erfuhr, dass es keinen Förderaufruf gab und das ganze nur ein Missverständnis war, hatte ich zumindest die Gelegenheit genutzt, mal mit einer der Beratungsstellen direkt zu sprechen. Liebe SPD, vielen Dank für den Anstoß dazu!
Die Beratungsstellen Frau und Beruf leisten eine wertvolle Arbeit für Frauen, die wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen oder sich beruflich weiterentwickeln möchten. Sie unterstützen Frauen in unsicheren beruflichen Situationen, damit diese eine Perspektive bekommen. Gerade in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels ist diese Arbeit nicht wegzudenken. Jede qualifizierte Kraft wird am Arbeitsmarkt gebraucht. Zur Wahrheit gehört aber eben auch, dass es für viele Frauen nach längeren Familienpausen oder nach Phasen geringfügiger Beschäftigung nicht immer einfach ist, den Einstieg zu finden. Ebenso ist die berufliche Weiterentwicklung eben nicht immer ein Selbstgänger, vor allem, wenn auch im Privaten zahlreiche Verpflichtungen zu schultern sind.
Die Arbeit von Frau und Beruf wird also gebraucht, ich denke, darüber sind wir uns einig.
Und an finanziellen Mitteln mangelt es grundsätzlich auch nicht, da ein Großteil der Finanzierung aus europäischen ESF-Mitteln stammt, die noch bis 2027 gesichert sind.
Allenfalls die Mitfinanzierung des Landes könnte von Seiten des zuständigen Ministeriums gekürzt werden, was wir natürlich auch nicht möchten. Dann frage ich mich: welchen Bedarf sieht das Wirtschaftsministerium zu diesem Zeitpunkt, ein funktionierendes System umstellen zu wollen? Ja, die Beraterinnen sind viel in der Fläche unterwegs, statt im Büro zu sitzen. Aber das sind sie doch eben, weil es dort einen Bedarf gibt und nicht, weil sie keine Lust haben, im Büro zu sitzen. Der vom Wirtschaftsministerium vorgebrachte Vorschlag, die Struktur weg von der Mobilität zu mehr festen Beratungsstandorten anzupassen, um auf diese Weise mehr Beratungen durchführen zu können, geht völlig am Bedarf vorbei. Gibt es hierzu Zahlen, die zeigen, wie viele Beratungen wo durchgeführt werden? Und gibt es Zielerreichungskennzahlen, zu denen wir das in Verhältnis setzen können, bevor wir mangelnde Effektivität unterstellen?
Auch die Notwendigkeit, künftig nur noch auf vier statt sieben Beratungsregionen zu setzen, erschließt sich mir nicht unmittelbar. Die Beratungsstellen werden alle von etablierten Trägern getragen, die ihre Arbeit gut machen, auch hier sehe ich keinen Handlungsbedarf. Also frage ich mich: will das Ministerium durch die Hintertür Mittel einsparen? Will man vermeintlich teure Träger vor die Tür setzen, die Tariflöhne bezahlen, weil andere ein günstigeres Angebot machen?
Es kann doch nicht sein, dass wir funktionierende Strukturen ohne Not in Frage stellen und diese dann zu Tode reformieren. Ich denke, um die sich hier aufdrängenden Fragen in der gebotenen Tiefe diskutieren zu können, gehört dieses Thema in den zuständigen Ausschuss, wo es meines Erachtens von Anfang an gut aufgehoben gewesen wäre.