Rede · 15.12.2004 Entlassung der Justizministerin (Fall Bogner)

Auch nach vielen Ausschusssitzungen und mehrmaligen Nachlesen der beiden Berichte des Justizministerium sind die Fakten des Falles Bogners unglaublich. Am 26. Oktober ist der Gefangene Bogner aus der Justizvollzugsanstalt Lübeck in einer spektakulären Flucht ausgebrochen. Der Gefangene wurde nach seinem Ausbruch durch die Behörden als „ nicht ungefährlich“ eingeschätzt.

Auch wenn der Anstaltsleiter, während der dazu abgehaltenen Pressekonferenz andere Angaben gemacht hat - die allerdings gleich von der anwesenden Staatssekretärin Diederich korrigiert wurden - so haben die Behörden den Flüchtigen Bogner als gefährlich eingestuft und auch danach gehandelt. Während dieser Flucht hat Bogner nach eigenem Geständnis gleich am Tag nach dem Ausbruch einen Menschen getötet, um eine neue Identität annehmen zu können. Bei der Vorbereitung dieser Tat ist der Bruder des Beschuldigten verdächtigt, geholfen zu haben. Dennoch wurde Bogner nach wenigen Tagen Flucht Anfang November wieder gefasst. So die nüchternen Fakten.

Unglaublich sind dabei die Umstände der Flucht. Denn die Flucht gelang, weil Sicherungsmaßnahmen nicht durchgeführt wurden:

1) Die Schlosserei in der Bogner arbeitete war gerade umgebaut worden und die Sicherung dieses Komplexes einschließlich des Außenlagers war sicherheitstechnisch nicht in Ordnung. Womöglich ist die Schlosserei ohne Sicherheitscheck eröffnet worden.

2) Der Alarm wurde nicht direkt nach Entdecken des Gabelstaplers, den der Häftling zur Flucht verwendete, gegeben, sondern erst einige Minuten später.

3) Ein Beamter, der den Flüchtigen bei der Flucht im Außenbereich sah, hat nicht schnell genug reagiert und daher wurde die sogenannte Nacheile nicht vorgenommen.

4) Am schlimmsten wiegt aber nach meiner Einschätzung, dass die Vollzugsplanung nach heutigen Kenntnisstand mangelhaft haft war. Diese ist nicht im Hinblick auf die tatsächlich vorhandenen Unterlagen über Vorstrafen und weitere Erkenntnisse über den Häftling vorgenommen worden. Denn die Öffentlichkeit fragt sich zurecht, wie ein Straftäter wie Bogner, der in seiner langen Straftäterkarriere bereist sieben Mal ausgebrochen ist – zuletzt allerdings Mitte der 90ér Jahre - und während eines offenen Vollzugs zwischen 2000 und 2001 sechs Banküberfälle begangen haben soll – dennoch in der Schlosserei der JVA Lübeck ohne besondere zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen arbeiten konnte. Schließlich wurde Bogner im April 2003 rechtskräftig zu 10 1/2 Jahren Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Er wurde also in der Schlosserei eingesetzt, obwohl er laut Vollzugsplanung als Fluchtgefährdet galt.

Dennoch musste eine unglaubliche Verkettung von Zufällen und menschlichen Fehlverhalten zusammenkommen, um die Flucht am 26. Oktober.2004 zu ermöglichen. Denn wie soll man es sonst nennen, dass dem Häftling am 25. Oktober ein Ablehnungsbeschluss auf seinen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens vom Landgericht Hannover zugestellt bekam, ohne das die Anstaltsleitung informiert wurde. Auch wenn das Landgericht formal richtig handelte, so wäre es in Schleswig-Holstein die übliche Praxis gewesen die Anstaltsleitung zu informieren, weil dieser Beschluss Bogner ja erst die Ausweglosigkeit seiner Situation klargemacht hat.

Die derzeitigen Konsequenzen sind in den Berichten der Ministerin im Innen- und Rechtsausschuss aufgezeigt worden. Die Schlosserei und insbesondere das Außenlager sind geschlossen worden. Es sind derzeit sechs Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiter der JVA einschließlich des Anstaltsleiters wegen Fehlverhaltens eingeleitet worden. Es sind sämtliche Strafvollzugsplanungen für als gefährlich einzustufende Gefangene überprüft worden. Auf der Grundlage der jetzigen Erkenntnisse sind die Erhebungsbogen für die Vollzugsplanung geändert worden. Es werden weitere bauliche Veränderungen überlegt.

Darüber hinaus will die Ministerin die Fachaufsicht bundesweit einmalig verschärfen und eine unabhängige Expertenkommission zur Überprüfung des Justizvollzugs in Schleswig-Holstein einsetzen. Alle diese Maßnahmen unterstützt der SSW . Die entscheidende Frage bleibt aber ob sich aus der politische Verantwortung, die die Justizministerin natürlich für alle Vorgänge in ihrem Bereich hat, persönliche Konsequenzen ergeben sollen. Denn es ist unbestritten, dass die Justizministerin die Fach- und Rechtsaufsicht über die JVA Lübeck hat. Die Frage ist, ob diese ordnungsgemäß ausgeübt wurde und ob sich aus Sicht des Parlaments schwerwiegende Fehler der Ministerin nachweisen lassen.

Wie sich aus dem Bericht ergibt, ist die Hausspitze im April 2002 über den Gefangenen Bogner besonders unterrichtet worden. Der Anlass war die nachträgliche Überprüfung des offenen Vollzuges. Die Konsequenz aus den Straftaten des Gefangenen während des offenen Vollzuges war allein die Kontrollmechanismen des offenen Vollzuges zu überprüfen. Weitere Überprüfungen und Änderungen wurden nicht vorgenommen. Ausweislich des Berichtes konzentriert sich die Fachaufsicht des Ministeriums auf die Qualifizierung des geschlossenen Vollzuges, während die Anstaltsleiter zuständig für alle Maßnahmen zur Regelung des Einzelfalles sind. Dies ist eine Praxis, die sich seit den 80ér Jahren in allen Bundesländern bisher bewährt hatte. Denn professionelles Handeln im Strafvollzug setzt auch eine Kenntnis der jeweiligen Person voraus und somit eine dezentrale Verantwortung der Anstaltsleitung.

Der Gefangene Bogner war der Anstalt bekannt, da er dort bereits eingesessen hatte und insbesondere der Vorgang, dass er aus dem offenen Vollzug Straftaten begangen hatte, war bekannt und auch, dass er schon einmal verdächtigt wurde, jemand getötet zu haben. Wie sich weiter aus dem Bericht ergibt, war auch dem Ministerium dieser Sachverhalt ebenfalls bekannt. Nur war es eben Praxis, es der Anstaltsleitung zu überlassen, welche Konsequenzen diese Sachverhalte für die Vollzugsplanung von Bogner haben sollte. Dies war auch aus unserer Sicht bisher ein korrektes Verfahren seitens des Ministeriums. Denn die Frage ist doch, ob wir wirklich Minister haben wollen, die alles und jeden in ihrem Bereich kontrollieren oder ob wir eine moderne Verwaltung mit Eigenverantwortung der einzelnen Mitarbeiter haben wollen. Das ganz schreckliche ist natürlich, dass in diesem Fall ein Mensch durch den Gefangenen Bogner gestorben ist, der heute vielleicht noch leben könnte.

Nach unserer Ansicht handelt es sich bisher um vorläufige Berichte des Ministeriums zu der Flucht Bogners. Die Ermittlungen sind ebenfalls nicht abgeschlossen, so dass wir die heutige Entscheidung zum Antrag von CDU und FDP über eine Entlassung der Ministerin nach dem jetzigen Kenntnisstand fällen müssen. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, weil der SSW den Begriff der politischen Verantwortung sehr ernst nimmt. Allerdings möchte ich auch klar stellen, dass der oft genannte Vergleich mit dem ehrenhaften Rücktritt von Bundesinnenminister Seiters aus dem Jahr 1991 nicht statthaft ist. Zum einen war der Fall 1991 völlig anders gelagert, zum anderen haben wir seit 1991 sehr viele Skandale gehabt, wo ein Rücktritt seitens der politischen Verantwortlichen sehr viel angemessener gewesen wäre, aber nicht erfolgte. Der hessische Ministerpräsident Koch hat hier stellvertretend für viele neue Maßstäbe gesetzt. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die derzeitige Aufarbeitung des Sachverhaltes, die Berichte und die Konsequenzen, die bereits gezogen worden sind, richtig sind und dass die Ministerin den Landtag vorbildlich informiert hat. Wir sehen daher keinen Grund die Ministerin Lütkes zu entlassen und haben weiterhin Vertrauen in ihre Leitung des Justizministerium.

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