Pressemitteilung · 16.12.2021 Rede des SSW-Ratsfraktionsvorsitzenden Ratsherrn Marcel Schmidt zum Haushalt 2022
Marcel Schmidt, Fraktionsvorsitzender der SSW-Ratsfraktion Kiel. Rede zum Haushalt 2022, Ratsversammlung 16.12.2021. Es gilt das gesprochene Wort.
Gute Ideen lassen sich nicht aufhalten!
Herr Präsident, liebe demokratische Ratsleute,
auch diesen Haushalt beraten wir unter sehr besonderen Umständen. Die Corona-Pandemie hat Opfer gefordert. Es sind Menschen an dieser furchtbaren Krankheit gestorben und es gab schwere Verläufe, viele Menschen leiden unter den Langzeitfolgen von Corona-Erkrankungen.
Das hat Auswirkungen auf unser aller Leben. Corona beeinflusst unser Leben viel stärker, als uns lieb ist. Die Menschen leben in Sorge und auch Angst vor dieser Krankheit und das soziale, das kulturelle Leben ist stark eingeschränkt. Die Corona-Pandemie hat auch den Haushalt, den wir heute debattieren, geprägt. Der von der Verwaltung vorgelegte Entwurf geht von einem Defizit über 80 Millionen aus. Wenn man also das Defizit des Kieler Haushalts auf die Bürger*innen der Bundesrepublik verteilen würde, wäre jede Person mit einem Euro dabei. – Diese Haushaltsberatungen müssen mit einem hohen Grad an Verantwortungsbewusstsein geführt werden.
Ein Kompass für diese Beratungen muss unser Mitgefühl für diejenigen sein, die besonders unter den schwierigen Bedingungen leiden. Wir können in dieser Krise nur gemeinsam bestehen. Wir wollen in dieser Haushaltsdebatte und bei den Änderungsanträgen den vorhandenen Spielraum im Blick behalten und mit unseren Änderungsanträgen notwendige Ergänzungen im Haushalt vornehmen. Dabei möchte ich der Verwaltung für die Erstellung und übersichtliche Darstellung des Haushalts danken.
Die demokratischen Fraktionen der Ratsversammlung haben angesichts der schwierigen Haushaltslage maßvolle Änderungsanträge vorgelegt, das gilt auch für die Anträge der SSW-Ratsfraktion. Das zu erwartende hohe Defizit ist uns bewusst, wir übernehmen Verantwortung für die soziale Stadt und stehen zu den notwendigen Ausgaben. Wir haben die Entwicklung unserer Stadt im Blick und wir bessern dort nach, wo es notwendig ist. Wir haben Haushaltsanträge gestellt, die unseren Beitrag zu dieser politischen Ideenlandschaft darstellen und eine sinnvolle Ergänzung der Anträge der demokratischen Fraktionen bilden. Der SSW hat nicht zu den Kostentreibern des letzten Jahres gehört, ohne Gräben wieder aufreißen zu wollen, möchte ich an dieser Stelle kurz auf unsere Bedenken zum zwischenzeitlichen Umzug der Ratsversammlung in das Schloss und die Kritik des Bundes der Steuerzahler an diesen Umzug erinnern. In der Haushaltsdebatte des letzten Jahres wurden alle Haushaltsanträge des SSW abgelehnt. Dieses Jahr sieht es wieder danach aus. Die SSW-Ratsfraktion lässt sich nicht entmutigen, wir bleiben konstruktiv. Wir haben seit den letzten Kommunalwahlen mehrfach die Erfahrung gemacht, dass mehrere unserer Anträge trotz Ablehnung durch die Ampelkooperation entweder von derselben Kooperation – oder der Restkooperation – später als eigene Anträge vorgelegt und durchgestimmt wurden, oder aber ohne viel Aufhebens von der Verwaltung umgesetzt wurden. Gute Ideen lassen sich nicht aufhalten! Wir machen der Ratsversammlung nun erneut das Angebot, den Haushalt mit der Annahme unserer Anträge weiter zu verbessern. Es liegt in den Händen der Mehrheit der Ratsversammlung, sich von parteipolitischen Spielen zu verabschieden und der politischen Verantwortung gerecht zu werden, indem sie die Anträge nach ihrem Nutzen für die Menschen in dieser Stadt und nicht nach der politischen Herkunft bewertet.
Bei dieser Rede zum Haushalt möchte ich der Verwaltung und dem Büro des Stadtpräsidenten ausdrücklich für ihren unermüdlichen Einsatz danken, der diese digitale Ratsversammlung erst möglich gemacht hat. Ich möchte dabei auch die kostengünstige und pragmatische Umsetzung loben. Der SSW hatte die digitalen Sitzungen zu Beginn dieses Jahres hinsichtlich der damit verbundenen Kosten kritisiert, wir sind durchaus erfreut, dass unsere Kritik nun berücksichtigt wurde.
Kaum ein Thema hat die Kommunalpolitik in den letzten Monaten so sehr bewegt wie die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Kiel ist eine wachsende Stadt? Nein, das stimmt leider nicht mehr. Familien sind frustriert ins Umland gezogen, weil Kiel nicht genügend Wohnraum bereitstellen konnte. Der Wohnungsbau muss weiter forciert werden, wir verlangen mehr Engagement und mehr finanzielle Mittel für den sozialen Wohnungsbau. Wir haben die Kieler Wohnungsgesellschaft, – damals noch in anderer Konstellation – mit den jetzigen Kooperationsmitgliedern entwickelt, nun fordern wir, dass diese Gesellschaft auch mit dem notwendigen Kapital ausgestattet wird und eine Rolle auf dem Kieler Wohnungsmarkt spielt, die wahrgenommen wird und bezahlbaren Wohnraum in dem erforderlichen Umfang bereitstellt. Wir unterstützen die Arbeit der KIWOG nachdrücklich. Wir wollen, dass die KIWOG noch mehr tun kann und wollen die Wohnbauförderung daher um 8.500.000,- € erhöhen. Die KIWOG soll nach unseren Vorstellungen als Akteur auf dem Wohnungsmarkt auftreten und durch ihre Tätigkeit Einfluss auf den Wohnungsmarkt nehmen. Dafür muss der Wohnungsbestand der KIWOG signifikant erhöht werden. Daher die von uns beantragte Erhöhung der Mittel für die KIWOG. Der zuständige Dezernent, Gerwin Stöcken, hatte im Finanzausschuss Verständnis für unser Anliegen geäußert, aber auf Probleme in der Umsetzung hingewiesen. Wir halten den Antrag trotzdem aufrecht, er ist auch ein Zeichen für die Veränderung, die wir auf dem Wohnungsmarkt wollen.
Im Bereich der Kinder- Jugend und Familienhilfe wollen wir auch im Jahr 2022 einen Jahrgang der Praxisintegrierten vergüteten Ausbildung (PIA) für Erzieher*innen in Kiel mit 25 Plätzen ermöglichen. Die Förderung umfasst die Ausbildungsvergütung für die gesamte Ausbildungsdauer von drei Jahren.
Im Haushalt 2022 sollen hierfür 210.000 € eingestellt werden. Für die Jahre 2023 und 2024 sollen jeweils 500.000 € eingestellt werden, für das Jahr 2025 werden 290.000 € eingestellt. Die Verwaltung soll sich weiterhin um eine (Ko)Finanzierung durch Land oder Bund bemühen.
Weiterhin fordern wir für das Jahr 2022 die Einstellung von 500.000 EUR zur Beschaffung von Luftfiltern für Kieler Schulen. Die Corona-Neuinfektionen und Hospitalisierungsraten steigen in diesem Winter sprunghaft an, da die Impfquote bisher nicht ausgereicht hat, um eine Herdenimmunität in der Bevölkerung aufzubauen. Mit fortschreitender Durchseuchung der Bevölkerung – auch mit neuen, potenziell gefährlichen Virusmutanten, wie der Omikron-Variante – sehen sich besonders die schulpflichtigen Kinder einer Gefährdung ausgesetzt, da z.B. die Impfungen für unter zwölfjährige noch gar nicht angelaufen sind. Deshalb muss die Landeshauptstadt Kiel als Schulträger Maßnahmen ergreifen, um die Kieler Schüler*innen so gut wie möglich zu schützen. Der Einsatz von Luftfiltern wird als Baustein in der Bekämpfung der Pandemie immer wichtiger, seit die zu zaghaft geführte Impfkampagne noch nicht die erhoffte Wirkung zeigen konnte.
Kiel ist gut aufgestellt bei der Förderung von Startups im Kreativbereich. Bei der Förderung von Startups im produzierenden Bereich ist dagegen noch Luft nach oben. Wir wollen daher im Haushalt 2022 einen Betrag von 500.000 EUR einstellen, um Firmengründungen zu unterstützen. Der Anteil des Gewerbes im produzierenden Bereich ist in Kiel rückläufig. In Stadtteilen wie z.B. Friedrichsort ist die industrielle Produktion für die Bevölkerung identitätsstiftend. Mit dem Abwandern von Industriebetrieben – verschlimmert noch durch den drohenden Fortgang von Caterpillar – entstehen Vakanzen, die gefüllt werden müssen. Die Strandfabrik im Friedrichsorter StrandOrt zeigt, dass es in der Gründerszene durchaus Interesse gibt, Firmen zu gründen, die Bedarf an industrieller Infrastruktur haben. Hier muss die Stadt Mittel aufwenden, um junge und aufstrebende Neugründungen an die Landeshauptstadt Kiel zu binden und den produzierenden Sektor mit neuen Ideen zu beleben.
Ich komme nun zu einem Herzensanliegen. Kaum ein Vorgang hat mich persönlich so sehr bewegt, wie die Diskussion zur Situation der Beschäftigten der Service GmbH im Städtischen Krankenhaus und der Kampf um eine gerechte Bezahlung dieser Beschäftigten. Die Beschäftigten haben engagiert um eine gerechte Bezahlung gekämpft, sie haben sich organisiert und ihre Forderungen drastisch, deutlich, kraftvoll und zugleich sympathisch vorgetragen. Ich möchte hier den OB Ulf Kämpfer zitieren: „Sie haben unsere Herzen berührt.“ Die SSW-Ratsfraktion hat diesen Kampf immer unterstützt und dazu mehrere Initiativen in der Ratsversammlung gestartet. Die Linke hat uns dabei immer unterstützt und auch die SPD und die Grünen haben ihren Anteil an der positiven Entwicklung, die dieser Vorgang nun endlich genommen hat. Ich möchte mich bei den genannten Fraktionen und bei allen, die mitgeholfen haben ganz herzlich bedanken. Dieser Vorgang, dieses Thema, ist ein wichtiger Teil meiner kommunalpolitischen Tätigkeit und Erfahrung geworden.
Damit die nun beschlossenen Lohnerhöhungen finanziert werden können, wollen wir in den Haushalt 2022 weitere 1.500.000 EUR einstellen, um die von der Ratsversammlung beschlossene Lohnerhöhung für die Beschäftigten der Service GmbH des Städtischen Krankenhauses Kiel im Jahr 2022 als Zwischenschritt zum TVöD zu realisieren. Mit dem Beschluss des Antrags „Anwendung des TVöD in der Service GmbH des Städtischen Krankenhauses“ (Drs. 1018/2021) in der Ratssitzung am 28.10.2021 legte die Ratsversammlung fest, dass auf dem Weg zur Anwendung des TVöD „kurzfristig adäquate Verbesserungen der Einkommenssituation zwischen den Tarifparteien vereinbart werden“. Mit der Bereitstellung von 1,5 Mio EUR im 2022er Haushalt soll die finanzielle Grundlage für die Umsetzung dieses Beschlusses gelegt werden.
Ein Wort zu den Anträgen anderer demokratischer Fraktionen: Die demokratischen Fraktionen haben in diese Beratungen eine Vielzahl von Anträgen eingebracht, für die wir Sympathie empfinden und die wir unterstützen. Dazu gehören die Befreiung von Liegeplatzgebühren für Traditionsschiffe, die Förderung eines weiteren Jahrgangs der praxisintegrierten Ausbildung für Erzieher*innen, die Entlastung für Kieler Weihnachtsmarkt-Schausteller*innen, die Unterstützung von Interregprojekten zur Förderung der deutsch-dänischen Zusammenarbeit, der Taubenschlag für Kiel, die Eingruppierung von Reinigungskräften von EG2 auf EG3, die kostenlose Bereitstellung von Menstruationsprodukten an Schulen und in Jugendtreffs und noch einige andere Anträge. So eine gute Qualität in den Anträgen hatten wir in der Vergangenheit nicht, allerdings liegt das eben auch daran, dass die Kooperation ehemals abgelehnte Anträge der Opposition wiederbelebt und als eigene Anträge eingebracht hat. Mir fällt dazu der Fußgängerbeauftragte ein – wenn es die Stadt denn weiterbringt…
Es gibt aber weiterhin einige kommunalpolitische Sorgenkinder in unserer Stadt. Da gibt es die Notwendigkeit der Verkehrswende und die Frage nach ihrer Umsetzung und Gestaltung. Die demokratischen Fraktionen der Ratsversammlung sind sich grundsätzlich einig, dass wir eine Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs benötigen, um die Klimaziele zu erreichen und den Verkehrsinfarkt zu verhindern, der an manchen Verkehrspunkten längst vorhanden ist. Für den SSW ist diese Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs auch wichtig, weil sie Voraussetzung für unsere Vorstellung von einer modernen urbanen Gesellschaft ist.
Bei der Umsetzung der Verkehrswende ist es mit der Einigkeit in dieser Ratsversammlung jedoch schnell vorbei. Was fehlt ist ein transparenter und akzeptierter Fahrplan. Das lag in den letzten Jahren auch und besonders an den widersprüchlichen Signalen, die von der Kooperation ausgingen. Nun hat sich die Kooperation verschlankt und gelobt Besserung. Auf den Turbo warten wir aber immer noch. Die politischen Entscheidungsprozesse in Kiel sind immer noch zu langatmig ausgelegt. Anträge werden aus der Ratsversammlung in die Ausschüsse verwiesen und dort gerne mehrfach vertagt. Das hilft niemandem, besonders nicht der Stadt. Im Ergebnis ist die Kooperation weiterhin nicht wirklich schnell in ihrer Entscheidungsfindung und viel zu oft dauert es entschieden zu lange, bis sie sich zu Entscheidungen durchringen kann.
Bei dem Umgang mit Feuerwerken hätte ich mir mehr Mut gewünscht, die Entwicklung hat die Kieler Ratsversammlung leider schon wieder überholt. Die Beratungen der Ministerpräsidenten und der Bundesregierung haben erneut ein Verkaufsverbot für Feuerwerk, sowie örtliche Böllerverbote beschlossen. Kiel hätte hier Schrittmacher für moderne Politikansätze sein können, wenn man unserem Antrag zur Reduzierung von Feuerwerk zugestimmt hätte. Im Ergebnis wäre es auch für die betroffenen Kieler Unternehmen von Vorteil, wenn Kiel sich in den unvermeidlichen Transformationsprozess in dieser Branche konstruktiv einbringen würde. Vielleicht geht diese knallwütige Ratsversammlung ja doch noch einmal in sich.
Im Finanzausschuss wurden die Haushaltsanträge des SSW von der Mehrheitskooperation aus SPD und Grünen nicht mit einem Satz erwähnt. Daraus schließe ich, dass die Kooperation unsere Anträge ablehnen wird. Das ist nicht gut für Kiel und auch schade für die Kooperation. Sie hätten der Vernunft eine Chance geben und etwas Richtiges tun können. Die SSW-Ratsfraktion hat wichtige Themen angefasst und die richtigen Maßnahmen für die erfolgreiche Bewältigung der Zukunft vorgeschlagen. Ich bin sicher, dass wir unsere Ideen und Vorschläge in anderem Gewand wiedersehen werden – gute Ideen lassen sich nicht aufhalten.