Rede · Jette Waldinger-Thiering · 28.04.2022 Wir werden weiter arbeiten an der Ostseekooperation - auch und gerade jetzt
„Unsere Europapolitik wird vorerst unter dem düsteren Schatten des russischen Angriffskrieges stattfinden. Wir alle hoffen auf eine baldige Vermittlung und ein Ende dieses schrecklichen Krieges. Gleichzeitig wollen und werden wir die Potenziale des Ostseeraums weiter heben und diesen weiterentwickeln, insbesondere in Hinblick auf unsere deutsch-dänische Grenzregion.“
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 30+39+43 - Bericht der Landesregierung über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission 2022; Schleswig-Holstein in Europa – Europapolitische Schwerpunkte; Ostseeaktivitäten der Landesregierung 2021/2022 (Drs. 19/3532; 19/3746; 19/3680; 19/3799)
Wir alle hätten uns für diese letzte europapolitische Debatte in dieser Legislaturperiode wahrlich andere Rahmenbedingungen gewünscht. Voranstellen möchte ich an dieser Stelle mein herzliches Dankeschön an das Ministerium und an das Hanse-Office für all diese sehr umfassenden Berichte und Vorbereitungen!
Nach zwei langen Pandemiejahren voller Entbehrungen hätte in diesem Jahr endlich Aufbruchstimmung aufziehen sollen. Es sollte um Perspektiven und Zuversicht für all unsere jungen Menschen gehen, daher ja auch die Ausrufung des Europäischen Jahrs der Jugend 2022. Unsere Kinder sollten endlich wieder raus in die Welt und ihre Lebensneugierde ausleben. Und es sollte um den Wiederaufbau der Wirtschaft und unseres sozialen Miteinanders gehen.
All dies läuft ja nun auch an, aber eben unter dem düsteren Schatten des russischen Angriffskrieges. Und dieser ist ja nicht nur gegen die Ukraine gerichtet, sondern auch gegen das Völkerrecht, gegen die europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur, gegen Demokratie, Menschenrechte, Frieden und Freiheit – kurz: gegen alles, was unsere Werte ausmacht. Der russische Präsident Putin will Europa gewaltsam verändern, aber das dürfen und werden wir als Staatengemeinschaft nicht zulassen. Die EU und unsere westlichen Partner stehen fest an der Seite der Ukraine. Und wir hier in Schleswig-Holstein werden alles Mögliche tun, um den zu uns Geflüchteten zu helfen.
Die politischen Beziehungen zu Russland liegen folgerichtig auf Eis. Dabei ist die Suspendierung aller russischer Akteure in allen ostseepolitischen Foren, aber bspw. auch im Europarat, ja eine Sanktion, die sich explizit gegen Putin und sein Regime richtet. Dennoch müssen die Gesprächskanäle weiterhin aufrechterhalten bleiben. Nur so bleiben eine Vermittlung und ein Ende des Krieges möglich.
Diese Situation wird nun selbstredend auch unsere kurz- bis mittelfristige europapolitische Arbeit hier in Schleswig-Holstein dominieren. Entsprechend haben wir uns parteiübergreifend auf ein angepasstes Verfahren verständigt: Corona, Umwelt- und Klimaschutz, Migration, Rechtstaatlichkeit und auch die enge Zusammenarbeit mit Dänemark und den Ostseeanrainern bleiben natürlich wichtige Schwerpunkte und werden in der Alltagsarbeit auch weiterverfolgt. Auf absehbare Zeit werden wir uns in Hinblick auf das Arbeitsprogramm aber insbesondere auf die nun absolut drängendsten Prioritäten konzentrieren müssen, sprich: den Green Deal mit Fokus auf der Energieversorgung, die Medienfreiheit sowie die Cyberabwehrfähigkeit.
Der Bericht zu den Ostseeaktivitäten ist dafür nun druckfrisch und bezieht auch die neue politische Gesamtlage mit ein. Inhaltlich unterstützen wir den skizzierten Aktionsplan, die Ziele für die sog. „Chancenräume“ und auch, dass die Landesregierung sich für eine bessere Einbeziehung der Zivilgesellschaft – und hier explizit junger Menschen – in die Aktivitäten der Ostseestrategie ausspricht. Dies propagieren wir vom SSW ja schon lange, denn es geht hier ja ganz konkret um deren Zukunft und deren Perspektiven zur Gestaltung einer sich wandelnden Welt.
Und natürlich begrüßen und unterstützen wir als SSW auch die angestrebte noch engere Zusammenarbeit mit den skandinavischen Staaten und hier vor allem mit Dänemark. Hier werden wichtige grenzüberschreitende Vernetzungspotenziale und Projekte benannt, für die wir auch schon länger werben. Und dann muss es natürlich auch weiterhin um den weiteren Abbau von Grenzbarrieren gehen. Und auch die noch engere Verknüpfung der Arbeit im Nordischen Rat mit der Arbeit in der Ostseeparlamentarierkonferenz und im Parlamentsforum Südliche Ostsee ist ein wichtiger Baustein, um Schleswig-Holsteins Platz im Norden Europas strategisch weiterzuentwickeln. Insbesondere bei den Themen Digitalisierung und Energie, Bildung und Wissenschaft, kultureller Austausch und Minderheiten können wir wahrlich noch viel voneinander lernen und noch enger zusammenwachsen. Das ist es, was wir – besonders auch in Zeiten wie diesen – brauchen und wofür der SSW steht.
Es bleibt also viel anzupacken für uns in puncto Europapolitik – auch und gerade vor dem Hintergrund, dass Deutschland ja ab Juli 2022 den Ostseeratsvorsitz übernehmen wird. Wir wollen und wir werden die Potenziale des Ostseeraums nutzen und diesen weiterentwickeln. Hoffentlich bald dann auch wieder unter Beteiligung Russlands. Russland ist und bleibt nun einmal mindestens unser geografischer Nachbar. Nachhaltigen Frieden und stabile Sicherheit in der Region kann es daher nur gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren geben. Hoffen wir also weiterhin, dass all das Blutvergießen und die Kampfhandlungen endlich bald eingestellt werden und die diplomatischen Verhandlungen vorankommen mögen.