Rede · Lars Harms · 21.11.2024 Das Ministerium muss nun Vertrauen zurückgewinnen
„Aus Sicht des SSW müssen die neuen Vorschläge nun dringend mit den vor Ort Beschäftigten diskutiert werden. Wir erwarten hier eine echte Offenheit. Und nicht, dass nach dem ersten „Basta!“ das zweite „Basta!“ folgt.“
Lars Harms zu TOP 27 - Fachgerichtsstrukturreform zurücknehmen (Drs. 20/2670)
Ich muss schon sagen, der ganze bisherige Prozess um die Fachgerichtsstrukturreform ist schon ein beachtenswerter.
Ich möchte kurz an den Tag im September-Plenum zurückspringen, an dem die Pläne der Ministerin zur Justizstrukturreform im Zuge der Haushaltskonsolidierung öffentlich wurden. Es ging irgendwie Aufregung durch die Gänge und vor allem ging ein ziemlich aufgeregter Marc Timmer durch die Gänge und brachte direkt einen Dringlichkeitsantrag ein, um die Ministerin aufzufordern, dem Parlament ihre Pläne vorzustellen.
Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt noch zurückhaltend. Und zwar einfach, weil ich es mir nicht habe vorstellen können, dass derart umfassende und tief in die Struktur unserer Gerichte eingreifende Pläne ohne die Beteiligung der Justiz dem Landtag vor die Füße geworfen würden. Ein paar Telefonate später waren wir im SSW-Büro klüger und standen ehrlich gesagt ziemlich fassungslos um das Telefon herum. Nicht ein einziges Gespräch war mit den Richterverbänden geführt worden, niemand wusste Bescheid. Von daher muss ich zwei Monate später feststellen: Abgeordneter Timmer, Sie hatten recht. Die Aufregung war und ist vollkommen berechtigt und hat womöglich dazu geführt, eine große Fehlentscheidung zu verhindern.
Es folgte lautstarker Protest der Richterverbände, Sozialverbände, Gewerkschaften, Anwälte und Notare, die hier im Oktober vor dem Landeshaus demonstrierten. Später erreichte eine Petition gegen die Zusammenlegung der Gerichte in kürzester Zeit tausende Unterschriften.
Eben diese Petition hat vor wenigen Wochen im Innenausschuss ein Bild aufgerufen, das ich so lange nicht gesehen habe.
Wir tagten zusammen mit dem Petitionsausschuss und der Saal war voll bis auf den letzten Platz. Mehr noch, ich sah die Angestellten des Landtages weitere Stühle hereintragen und die Leute zusammenrutschen, damit auch alle Anwesenden noch einen Sitzplatz bekommen.
Frank Hornschuh, als Initiator der Petition, stellte unmissverständlich klar, welche Konsequenzen diese anvisierte Reform für die Angestellten und Ehrenamtlichen an den Gerichten hätte. Hier wäre in bisher nie dagewesener Weise, in die Gestaltung des Arbeitsalltags eingegriffen worden.
Die Rückmeldungen waren wirklich von allen Seiten vernichtend. Die Richterverbände sprachen davon, dass der Vertrauens- und Motivationsverlust für den die Landesregierung gesorgt hat, gar nicht ausreichend quantifiziert werden könne. Der Richterverband ging sogar soweit, die unterbliebene Kommunikation als einen nicht reparablen Geburtsfehler zu beschreiben.
Währenddessen zerlegte Heiko Siebel-Huffmann, der ja auch nicht irgendwer ist, sondern vorsitzender Richter am Landessozialgericht, das Rechenbeispiel der Landesregierung vollkommen in seine Einzelteile. Während die Landesregierung beteuerte, man würde irgendwie sparen, rechnete Herr Siebel-Huffmann erst einmal vor, welche Kostenfaktoren von der Landesregierung überhaupt gar nicht erst berücksichtigt worden waren.
Der angegebene Mietpreis war aller Voraussicht nach extrem falsch berechnet worden, der Personalaufwand nicht berücksichtigt, Leasingkosten, Fahrerkosten, die Einrichtung von Home Office fehlten, und, und, und. Unterm Strich ließ sich feststellen, dass die anvisierte „Spar“-Reform, womöglich sogar noch zu Mehrkosten geführt hätte.
Und daher hat es nur einen Weg geben können, um die Situation einigermaßen zu befrieden. Die bisherigen Pläne bremsen, stattdessen ein transparenter Prozess unter ernsthafter Einbindung der Beteiligten.
Dass es auch anders geht, haben wir im Land schon einmal bewiesen. Ich erinnere da an die letzte Reform der Finanzämter. Die war auch wirklich heftig. Aber da wurde wenigstens vorher mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen. Die Reform wurde damals über zwei Wahlperioden hinweg abgeschlossen. Also musste eine völlig andere Koalition die Reform mit allen Schwierigkeiten, die damit verbunden waren, umsetzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das nur geklappt hat, weil wir ergebnisoffen alle möglichen Ebenen, vor allem auch die Bediensteten, eingebunden haben.
Und genau das muss nun auch geschehen. Im Rahmen einer Pressekonferenz hat das Justizministerium gemeinsam mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Obergerichte am Dienstag die bisherigen Zentralisierungspläne wieder zurückgenommen und sozusagen eine angepasste Strukturreform präsentiert. Statt alles nach Neumünster zu verfrachten, werden nun stellenweise Zweigstellen und Kammern gebildet. Das ist gut, alles ist besser als das, was Sie eigentlich vorhatten!
Aber auf Nachfrage wurde ja klar, dass die Beschäftigten das Konzept wieder nicht kennen. Aus Sicht des SSW müssen die neuen Vorschläge nun dringend mit den vor Ort Beschäftigten diskutiert werden. Wir erwarten hier eine echte Offenheit. Und nicht, dass nach dem ersten „Basta!“ das zweite „Basta!“ folgt, das dann auch wieder nicht aufrechterhalten wird.
Die Führungsebene wurde also über die Präsidentinnen und Präsidenten nun nachträglich mit eingebunden. Die ganz normalen Beschäftigten allerdings nicht. Genau so wenig scheinbar die Richterverbände, Sozialverbände, Gewerkschaften. Das steht noch aus.
Ich ziehe aus dem gesamten Prozedere folgende Schlüsse:
Erstens: Die Proteste - gerade auch der Opposition - haben gewirkt. Zweitens: Dass man das im Vorwege überhaupt so weit kommen ließ, war unnötig. Und drittens: Das Ministerium muss nun ganz dringend Vertrauen zurückgewinnen. Wir brauchen eine echte und transparente Beteiligung und vor allem eine Landesregierung, die auch offen für weitere Vorschläge der Betroffenen ist.