Rede · Christian Dirschauer · 14.12.2023 Bildungsgerechtigkeit fängt in der Kita an!

„Im Kitabereich haben wir die konkrete Chance, die unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder auszugleichen und für zumindest annähernd gleiche Bildungs- und Entwicklungschancen zu sorgen - und die müssen wir nutzen!“

Christian Dirschauer zu TOP 7A, 27+35 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes sowie mehr Plätze und Qualität in den Kitas stärken und endlich auf die Kita-Krise reagieren - Kita-Schließungen verhindern (Drs. 20/1599, 20/1691 und 20/1711)

Ich will hier gewiss kein Öl ins Feuer gießen. Uns vom SSW ist nicht nur die Tragweite, sondern auch die Komplexität der Kitareform bewusst. Aber man kann mittlerweile schon den Eindruck gewinnen, dass Schwarz-Grün die Dinge ein wenig entgleiten. Denn wir diskutieren hier und heute nicht nur die x-te Änderung des Kitagesetzes, sondern vor allem einen Entwurf, der eine wirklich verheerende Anhörung im Ausschuss durchlaufen hat. Das lässt zumindest vermuten, dass man weder mit den Trägern, Eltern oder Kita-Leitungen im engeren Austausch war. Geschweige denn im Vorfeld Rücksicht auf die massiven Bedenken, insbesondere von Seiten der Kommunen, genommen hat. Insofern ist es schön und gut, dass die regierungstragenden Fraktionen dann doch noch ihre Lehren aus der Anhörung gezogen und die Verlängerung des Übergangszeitraums kassiert haben. Denn diese Regelung hätte die kommunale Ebene bekanntlich vor erhebliche finanzielle Probleme gestellt. Aber gleichzeitig zeichnet dieses Verfahren eben auch ein recht chaotisches Bild und ist weder aus Sicht der Eltern, der Kitas oder der Träger eine vertrauensbildende Maßnahme. 

Ich kann nur immer wieder betonen, dass uns das Thema frühkindliche Bildung viel zu wichtig ist, um es für plumpe Regierungsschelte zu nutzen. Wir hatten und wir haben nach wie vor ein großes Interesse daran, dass diese Reform gelingt und die damit verbundenen Versprechen an Eltern, Träger, Kommunen und mit Blick auf die Kitaqualität eingelöst werden. Spätestens nach Pisa dürfte doch allen schmerzlich bewusst sein, was für ein enormer Stellenwert der frühkindlichen Bildung zukommt. Genau hier haben wir die konkrete Chance, die unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder auszugleichen und für zumindest annähernd gleiche Bildungs- und Entwicklungschancen zu sorgen. Und die müssen wir dringend nutzen. 

Eines kann man ganz ohne Hysterie feststellen: Die Rahmenbedingungen für die frühkindliche Bildung sehen alles andere als rosig aus. Denn wenn wir ehrlich sind, dann ist die aktuelle Bertelsmann-Studie, nach der hierzulande fast 16.000 Kitaplätze fehlen, nur die Spitze des Eisbergs. Wir stehen hier gleichzeitig vor einem nie dagewesenen Fachkräftemangel. Und viele Träger erinnern uns nicht erst seit gestern daran, dass große Teile ihrer Beschäftigten absehbar in Rente gehen. Noch dazu ist die Verweildauer unter Kita-Mitarbeitenden unverändert gering und die Fluktuation entsprechend hoch. Und auch wenn es vor diesem Hintergrund kaum verwundert, haben wir in Schleswig-Holstein auch bei der Frage der Qualität der frühkindlichen Bildung eine ganz erhebliche Baustelle. Denn die lässt laut dem bereits erwähnten Ländermonitoring der Bertelsmann-Stiftung auch deutlich zu wünschen übrig. 

Wenn ich mir den einen oder anderen Debattenbeitrag anhöre, könnte man ja fast auf die Idee kommen, dass die Lage nicht so dramatisch ist. Doch hier muss ich entschieden widersprechen: Studien zeigen, dass vor allem Kinder aus armutsgefährdeten Familien oder aus Elternhäusern, in denen wenig Deutsch gesprochen wird, keinen Kita-Platz bekommen. Und genau daran werden Tragweite, Umfang und Qualität des Problems rund um die fehlenden Kitaplätze deutlich. In der aktuellen Situation wird die Benachteiligung eben jener Familien und Kinder verstärkt, die ohnehin schon geringere Chancen auf Bildung und ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben haben. Und genau hier liegt eine der Hauptursachen dafür, dass unser Bildungssystem im internationalen Vergleich so schlecht abschneidet. 

Statt die bestehenden Ungerechtigkeiten beim Zugang zu Bildung noch zu zementieren, müssen wir aus meiner Sicht alles dafür tun, um diese Entwicklung zu stoppen. Wir müssen dringend in die frühkindliche Infrastruktur und damit ganz konkret in den Ausbau der Betreuungsplätze investieren. Außerdem halten wir gerade in Zeiten angespannter Haushalte daran fest, dass der Zugang zu welchen Bildungsangeboten auch immer eben nicht vom Portemonnaie der Eltern abhängen darf und langfristig kostenfrei sein muss. Und wir sehen die dringende Notwendigkeit, noch deutlich mehr Geld für die Ausbildung und für bessere Arbeitsbedingungen in diesem Bereich in die Hand zu nehmen. Denn auch der Verbleib der Fachkräfte im Kitasystem ist nun mal alles andere als ein Selbstgänger. Und er hängt nicht nur von einer fairen Bezahlung, sondern mitunter eben auch von so vermeintlich banalen Dingen wie ergonomischen Tischen oder Stühlen in den Einrichtungen ab, also dem Gesundheitsmanagement.

Ich will ausdrücklich anerkennen, dass Schwarz-Grün gerade beim Thema Fachkräftegewinnung sehr um tragfähige Lösungen bemüht ist. Doch wie wir wissen, wird auch die beste Fachkräfteoffensive Zeit brauchen, bis sie Wirkung entfaltet und die Situation entspannt. Doch auch wenn der Druck hierdurch und durch die aktuelle Finanzlage absehbar steigen wird, muss aus Sicht des SSW eins absolut klar sein: Am Grundkonsens, den alle als Ausgangspunkt der Kita-Reform mitgetragen haben, darf nicht gerüttelt werden. Die Antwort auf die bestehenden Probleme darf weder in der Absenkung der Kita-Standards noch in Abstrichen bei der Kita-Qualität liegen. Und auch die Anhebung der Elternbeiträge oder die Erhöhung kommunaler Anteile an der Kitafinanzierung sind keine Option. Denn mit der Kitareform wurde genau das Gegenteil versprochen; und dieses Versprechen muss eingelöst werden.

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