Speech · Jette Waldinger-Thiering · 28.04.2022 Wir bleiben dran am Jugend-Check
„Gerade mit Blick auf unsere Kinder und Jugendlichen haben wir enorm viel aufzuholen“
Rede zu Protokoll gegeben
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 3, 38 + 44 - Gesetz zur Änderung des Jugendförderungsgesetzes und des Kinderschutzgesetzes, Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, Bericht zur Situation von Kindern und Jugendlichen bei Gefahren für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl (Drs. 19/3544, 19/3771, 19/3621 und 19/3802)
Ich halte es für ein wichtiges Zeichen, dass wir heute über gleich mehrere Vorlagen diskutieren, in denen Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt stehen. Denn die Kinder- und Jugendpolitik hat bei uns im Land zwar traditionell einen hohen Stellenwert, doch in den vergangenen zwei Jahren wurden hier auch erhebliche Schwächen deutlich. Wenn ich ehrlich bin, dann haben wir uns alle miteinander nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Denn sowohl die Bundes- wie die Landespolitik hat viel zu lange gebraucht, um die Pandemie und die dazugehörenden Maßnahmen aus der Perspektive junger Menschen zu sehen und zu bewerten. Die Entbehrungen und Opfer, die Kinder und Jugendliche im Rahmen der Pandemiebekämpfung erbracht haben, wurden über lange Zeit als selbstverständlich genommen. Es wurde lange versäumt, die Heranwachsenden selbst zu befragen oder die mitunter wirklich gravierenden Konsequenzen für sie zu bewerten. Aus diesen Fehlern müssen wir unbedingt lernen.
Ein absolut zentraler Punkt ist für uns in diesem Zusammenhang die möglichst verbindliche Beteiligung junger Menschen bei allem, was sie betrifft. Kinder und Jugendliche müssen noch viel selbstverständlicher als Expertinnen und Experten in eigener Sache gehört werden und möglichst viel mitbestimmen, wenn es um ihre Belange geht. Das muss auf allen Ebenen zur gelebten Praxis werden. Denn auch wenn es gut und richtig ist, Kinderrechte, wie etwa auf Beteiligung, in Verfassungen zu schreiben, ist es mindestens genauso wichtig, Eltern, Kinder und vor allem auch Verwaltung und die Gesellschaft als Ganzes über diese Rechte aufzuklären und sie mit Leben zu füllen. Zum Beispiel durch konkrete Beteiligungsformate in Kita und Schule, in der Stadt- oder Dorfentwicklung oder bei der Erarbeitung von Gesetzen und Verordnungen.
Wenn es um eine möglichst Kind- und Jugendgerechte Politik geht, dann schöpfen wir auch auf Landesebene noch nicht all unsere Möglichkeiten aus. Deshalb haben wir bekanntlich einen Jugend-Check gefordert. Denn wenn wir ehrlich sind, dann haben im Grunde fast alle Gesetze, die wir beschließen, mittelfristig Auswirkungen auf unsere Kinder und Jugendlichen. Gleichzeitig gibt es aber keine verbindlichen Vorgaben oder Pflichten, die Belange dieser Gruppe in irgendeiner Form zu berücksichtigen. Das ist zu wenig. Und deshalb halten wir es auch weiterhin für wichtig, dass unsere Gesetze und Verordnungen auf die Folgen für Kinder und Jugendliche abgeschätzt werden. Das hilft den Jugendlichen aber auch dem Gesetzgeber selbst. Doch leider konnte sich die Koalition nicht dazu durchringen, diese sinnvolle Maßnahme zu unterstützen. Das ist bedauerlich, weil wir damit vorerst nicht zu einer jugendgerechteren Landespolitik kommen. Aber wir bleiben natürlich an diesem Thema dran.
Ohne Frage war und ist die Coronapandemie eine absolute Ausnahmesituation. Das geht auch aus dem vorliegenden Landeskinderschutzbericht sehr deutlich hervor. Ich möchte mich ausdrücklich für die Arbeit der Kommission bedanken. Denn der Bericht bringt heute, über 24 Monate nach Ausbruch der Corona-Krise, systematisch Licht ins Dunkel. Es ist absolut logisch, dass die Frage des Kinderschutzes unter Pandemiebedingungen eine große Rolle spielt. Und trotz meiner persönlichen Erfahrung als Vater von drei Kindern muss ich eins deutlich sagen: Die Schilderungen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Leben von Kindern, Jugendlichen und Familien sind und bleiben erschreckend. Mittlerweile dürfte allen klar sein, welche sozialen, körperlichen und psychischen Schäden gerade bei jungen Menschen entstanden sind. Und es dürfte hoffentlich auch allen klar sein, dass viele dieser negativen Auswirkungen und Probleme nicht mit dem Ende der Corona-Schutzmaßnahmen aus der Welt sind.
Vor diesem Hintergrund können wir der Kommission nur beipflichten. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir es schaffen, Hilfeangebote, wie psychologische Beratung, Entlastungsangebote für Kinder und Jugendliche sowie aufsuchende Beratungs- oder anderweitige Unterstützungsangebote für Familien auch unter Krisenbedingungen aufrechtzuerhalten. Hier müssen wir in der Tat zu einem Bewusstsein dafür kommen, dass sämtliche Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe, des Kinderschutzes und des Kinder- und Jugendärztlichen Diensts als systemrelevant einzustufen sind. Das würde im Krisenmodus dann zu schneller und substanziellerer Hilfe für diese Bereiche führen. Aber wir müssen uns natürlich auch die Frage stellen, wie es gelingen kann, die unterschiedlichen negativen Folgen der Pandemie so gut wie möglich zu heilen. Und auch hier ist zumindest ein Teil der Antwort, dass wir die entsprechenden Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien nachhaltig stärken müssen.