Speech · Lars Harms · 22.09.2021 Letzter Jamaika-Haushalt kommt ohne Ambitionen aus
„Man kann schon sehen, dass sich Jamaika nicht mehr auf große neue Projekte einigen kann. Der Haushalt 2022 sieht ein bisschen aus wie der Haushalt 2021.“
Lars Harms zu TOP 8+9 - Feststellung eines Haushaltsplanes 2022 (Drs. 19/3200; 19/3201)
Der Entwurf für den Landeshaushalt 2022 liegt vor – es ist der zweite Haushalt unter schweren Corona-Bedingungen. Nach mehr als anderthalb Jahren Pandemie war absehbar, dass sich die ohnehin angespannte Haushaltslage immer deutlicher bemerkbar machen würde. Um es also gleich vorweg festzuhalten: Ja, die Suppe wird dünner. Und wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die tiefen finanziellen Einschnitte nun nicht nur auf dem Papier da sind, sondern sich schon bald auch konkret auswirken werden.
Zunächst möchte ich ein paar Bemerkungen zur allgemeinen Haushaltslage machen.
Was haben wir über die letzten anderthalb Jahre erlebt, was man sich wohl niemals hätte vorstellen können? Mehrere Lockdown-Intervalle, Schulschließungen, striktes Arbeiten von zu Hause aus oder faktische Berufsverbote, „wir bleiben zu Hause“ als gelebte Solidarität, vollkommen überlastete Krankenhäuser und viel zu viele tragische Schicksale. Die Lage war ernst und hart für alle – und die Folgen werden uns leider noch lange weiter beschäftigen. Entsprechend herausfordernd wird auch das kommende Haushaltsjahr 2022.
Die Corona-Pandemie hat unser Land in eine Notsituation gestürzt, in der uns keine andere Wahl geblieben ist, als neue Schulden aufzunehmen und mit diesen zumindest die größten Härten in den kommenden Jahren abzumildern, um so für die Menschen die grundlegende Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten.
Zwar überraschte die letzte Steuerschätzung aus dem Mai dieses Jahres noch positiv, indem sie leichte Einnahmeverbesserungen voraussagte. Unsere Wirtschaft scheint sich also langsam zu erholen, was uns vorsichtig optimistisch stimmen mag. Aber gleichzeitig bleiben die Ausgaben eben auch sehr hoch, die Versorgungsausgaben steigen und wir stehen noch immer vor einem coronabedingten gewaltigen Haushaltsloch, das wir angehen müssen.
Was das in konkreten Zahlen ausmacht, hat der Landesrechnungshof kürzlich als Übersicht vorgelegt: Fehlten im Landeshaushalt bislang durchschnittlich 380 Millionen Euro pro Jahr, so erhöht sich die Deckungslücke aufgrund der coronabedingten Mehrausgaben künftig auf durchschnittlich 422 Millionen Euro. Für den Schuldenstand des Kernhaushaltes von Schleswig-Holstein bedeutete dies einen vorläufigen Anstieg im ersten Corona-Jahr in 2020 auf insgesamt rund 34,8 Milliarden Euro. In 2019 lag dieser noch bei rund 28,7 Milliarden Euro. Die Differenz aus 6,1 Milliarden Euro ergibt sich aus der Nettokreditaufnahme aus dem vergangenen Jahr. 5,5 Milliarden Euro davon machen den sogenannten „Corona-Notkredit“ aus, den wir gemeinsam – Jamaika, SPD und SSW – aus Verantwortung für das Land auf den Weg gebracht hatten. Diesen halte ich nach wie vor für richtig, konstruktiv erarbeitet und insgesamt gut begründet.
Ich habe es in den letzten Haushaltsverhandlungen bereits gesagt und bleibe bei dieser Linie:
Als wir den interfraktionellen Antrag für den Notkredit formuliert haben, haben wir im Vornherein festgelegt, wofür die Mittel verwendet werden sollen. Dabei ging es nicht um Lieblingsprojekte der verschiedenen Parteien, sondern um Notwendigkeiten inmitten einer Notlage. Wir mussten als Land schnell und umfassend auf die Pandemie und die daraus entstandene Krise reagieren und gleichzeitig dringend notwendige Investitions- und Modernisierungsvorhaben finanziell absichern. Es ging um die Daseinsvorsorge vor Ort, das Gesundheitswesen, den ÖPNV, Härtefallfonds, den Sportbereich, die Kulturszene, Hilfen für unsere Betriebe, den Digitalisierungsausbau und, und, und. Selbstverständlich müssen all diese Gelder und ihre Notwendigkeit nachprüfbar gerechtfertigt werden – und über die letzten anderthalb Jahre haben wir ja auch diverse Unterrichtungen und Aufschlüsselungstabellen allein im Finanzausschuss erhalten und geprüft. Und auch unsere landeseigene Investitionsbank, die extra eine neue Corona-Abteilung eingerichtet hat, hat mit der Verwaltung, Auszahlung und Nachprüfung der diversen Hilfsprogramme alle Hände voll zu tun und dafür danke ich der IB.SH an dieser Stelle auch ganz ausdrücklich. Der Notkredit ist also mitnichten eine „Schatztruhe“ zur Finanzierung von Luxusprojekten, sondern sichert das Überleben unseres Landes und verhindert, dass wir andernfalls in ein paar Jahren vor einer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wüste stünden. Und in diesem Kontext halte ich diese 5,5 Milliarden Euro nach wie vor für gerechtfertigt. Mit dieser Absicherung im Rücken konnte dann also der Haushalt des laufenden Jahres geplant und beschlossen werden. Und nun eben auch der Haushalt für das kommende Jahr, wo wir auch weiterhin von Krediten werden zehren müssen.
Und damit sind wir nun beim konkreten Haushaltsentwurf 2022 – dem letzten Jamaika-Haushalt in dieser Legislaturperiode. Insgesamt bewährt sich hier einmal mehr, dass wir damals als Küstenkoalition das Sondervermögen "IMPULS" gebildet haben. Zum anderen helfen ja weiterhin die milliardenschweren Corona-Notkredite aus. Diese beiden Finanzposten sichern der Jamaika-Koalition die Handlungs- und Investitionsfähigkeit – so ehrlich sollten wir hier schon sein.
Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl an diesem Sonntag sowie unserer Landtagswahl im kommenden Mai kann es dennoch kaum überraschen, wie die Pressemitteilungen aus den verschiedenen politischen Lagern diesen Haushalt einordnen und bewerben wollen. „Investitions-Koalition“ und „Jamaika-Schwerpunkte“ versus „Keine Antworten auf Zukunftsfragen“. Man kann aber schon sehen, dass sich Jamaika nicht mehr auf große neue Projekte einigen kann. Der Haushalt 2022 sieht ein bisschen aus wie der Haushalt 2021. Der SSW geht an dieser Stelle pragmatisch an den Haushalt heran. So haben wir Lichtblicke, aber auch schon Verbesserungspotenziale festgestellt, die wir dann in den Haushaltsverhandlungen noch einmal vortragen werden.
Ich picke mir mal ein paar Punkte heraus:
So begrüßen wir beispielsweise ausdrücklich die geplanten zusätzlichen Stellen bei der Polizei, der Steuerverwaltung und in der Justiz. Hier ist jeder Euro gut angelegt. Und auch die Erhöhung der Gelder für die Friesenstiftung freut mich persönlich natürlich sehr, nachdem wir diese ja noch zu Küstenkoalitionszeiten konzipiert und Gelder angespart hatten und nun also die Umsetzung erleben. Neben den engagierten Ehrenamtlern kann mit diesen Mitteln nun auch festes Personal für die friesische Arbeit eingestellt und so die Arbeit noch mehr verstetigt und professionalisiert werden. Dies ist in solch schweren Zeiten eine echte Erfolgsmeldung.
Auf eine solche müssen andere hingegen weiterhin warten: So werden die Projektverantwortlichen an der FH Heide in Hinblick auf die geplante e-Sports-Akademie seit Jahren vertröstet und hingehalten und am Ende standen sie bislang immer wieder mit einem umfassend erarbeiteten Konzept und motiviertem Lehrpersonal und Studieninteressierten da, aber ohne Fördergelder, ohne die die erstmalige Einrichtung eben nicht erfolgen kann. In diesem Jahr gibt es wohl wieder einen Anlauf. Ob es aber nun endlich zu etwas Greifbarem kommt, steht immer noch in den Sternen, denn im Haushaltsentwurf findet sich dazu weiterhin nichts. Der SSW wird hier dranbleiben. Denn der e-Sport ist nicht nur ein Trend, der in kürzester Zeit richtig schnell gewachsen ist, sondern hat auch das Potenzial, ein Aushängeschild für das Land zu werden – womöglich sogar auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Ein entsprechendes Konzept, wie die Akademie an die FH angebunden und mit entsprechenden Wirtschaftsstudienfächern künftig verknüpft werden könnte, liegt bereits in der Schublade. Wir müssen hier also nur noch die Gelder bereitstellen.
Die Bereitstellung von Geldern funktioniert laut Regierungskoalition ja immerhin in Hinblick auf die auserkorenen „Jamaika-Schwerpunkte“, die erneut von den Themenblöcken Infrastrukturausbau, Klimaschutz, Bildung und Digitalisierung gebildet werden. Bereits im letzten Jahr hatte ich diese als durchaus hehre Ziele anerkannt, aber eben auch darauf hingewiesen, dass es auf die konkrete Umsetzung ankommen würde. Denn die finanziellen Möglichkeiten sind nun einmal sehr eng, sodass die ideologischen Risse innerhalb der Jamaika-Koalition nicht mehr mit Geld zugeschüttet werden können. Schauen wir uns also die vorläufigen Planungen dazu an:
- Die Investitionsgelder für den Sanierungsstau in der Infrastruktur kommen zum Großteil aus den IMPULS-Mitteln. Diese sind zum einen vorausschauend noch in Küstenkoalitionszeiten angespart worden und zum anderen gerade erst mit Corona-Notkreditmitteln abgesichert worden, sprich: Es ist richtig und notwendig, dass für diesen Schwerpunkt weiterhin Gelder in die Hand genommen werden, aber dies ist ja kein alleiniger Jamaika-Verdienst, sondern die Regierungskoalition profitiert hier ganz offensichtlich von der Vorgängerregierung und von der Unterstützung der Opposition. Nichtsdestotrotz bleiben Investitionen in diesem Bereich natürlich richtig. Unsere Straßen sind marode, der Radwegeausbau muss endlich vorankommen und auch das Schienennetz steht seit Jahren auf einem vordringlichen Platz der To-do-Liste. Was ich hierunter ebenfalls zähle, ist das große Stichwort Krankenhausfinanzierung. Die Corona-Pandemie hat uns ja nur allzu sehr verdeutlicht, wie wichtig und richtig es ist, hier eine auskömmliche und gut gesteuerte Finanzierung zu gewährleisten. Tatsache ist: Wir geben in diesen Bereich bereits sehr viel Geld und viel mehr kann der Landeshaushalt dann eben auch nicht mehr alleine leisten. Hier ist auch weiterhin der Bund in der Pflicht. Es gilt, die Lehren aus der Corona-Pandemie zu ziehen und an den entsprechenden Stellschrauben zu drehen, um unser Gesundheitssystem noch besser, krisentauglicher und finanztechnisch gerechter zu machen. In Bezug auf den Basisfallwert muss also sichergestellt werden, dass alle auf dem höchstmöglichen Niveau profitieren und unsere Krankenhäuser die gleichen finanziellen Bedingungen vorfinden wie Krankenhäuser in anderen Bundesländern.
- Nur Mittelmaß wäre in puncto Natur- und Klimaschutz nicht ausreichend. Wir brauchen mutige Investitionsprogramme, die jedoch sozial verträglich sein müssen und die die wirklich besten und nachhaltigsten Maßnahmen und Technologien fördern. Als konkrete Maßnahmen, die für Schleswig-Holstein und unsere schöne Landschaft einen echten Mehrwert haben, sind hier natürlich der Küstenschutz und der Katastrophenschutz zu nennen. Auch die Wasserstoffstrategie ist als Stichwort vielversprechend und ist ihre Förderung wert. Das Gesamtpaket nehmen wir dann im Rahmen der Beratungen nochmals genauer unter die Lupe.
- Bildung und Digitalisierung sind ebenfalls Stichworte, bei denen Corona als Brennglas fungierte und uns offensichtliche Versäumnisse aufgezeigt hat, die wir dringlichst angehen und ausräumen müssen. Auch hier kommt es abermals auf die konkrete Umsetzung an. Es wurden Reformen angestoßen, Gesetze verabschiedet und Gelder auf Bundes- wie Landesebene bereitgestellt. All dies ist löblich. Gleichzeitig kann es nicht angehen, dass Gelder für digitale Endgeräte zur Verfügung stehen, diese dann aber nicht abgerufen werden, um nur ein Beispiel aus unserer regionalen Berichterstattung zu nennen. Und auch ein über 100 Seiten starkes Digitalisierungsgesetz muss erst einmal in der Alltagspraxis ankommen. In puncto Digitalisierung haben wir ja aber gesamtgesellschaftlich noch ordentlich Nachholbedarf. An dieser Stelle darf von SSW-Seite natürlich der Verweis auf unsere dänischen Freunde nicht fehlen: So staunten unsere Grenznachbarn ungläubig über die Faxgeräte in unseren Gesundheitsämtern, während sie selbst auf dem Online-Bürgerportal borger.dk alles beantragen, bestellen und übermitteln können, was so unter das Stichwort Bürgerangelegenheiten fällt. Eine große Bildungs- wie auch Digitalisierungsoffensive ist also dringend angezeigt – und zwar nicht nur für jetzt, um die akute Krise zu bewältigen, sondern deutlich längerfristiger, um auch die Nachwehen von Corona abzumildern und bestenfalls gar nicht erst großflächig entstehen zu lassen. Ich denke hier an die Lernrückstände, die sich gerade jetzt durch die Schulschließungen und den Wechselunterricht ergeben haben, aber beispielsweise auch an psychische Langzeitfolgen, chronische Erkrankungen und Burnouts, die aus der jetzigen Situation heraus resultieren. Hier müssen wir achtsam sein, möglichst vorbeugend agieren, aber eben auch Vorsorge treffen. Vorsorge ist im Übrigen auch ein gutes Stichwort in Hinblick auf den jetzt schon bestehenden Lehrkräftemangel und auf die Ganztagsschulquote. Die hier veranschlagten Stellen bzw. Gelder werden kaum ausreichend sein, um unser Land zukunftsorientiert aufzustellen.
Insgesamt bleibt die Corona-Krise der bestimmende Faktor für die Landesfinanzen – nicht nur für die nächsten Jahre, sondern für die nächsten Jahrzehnte. Denn bei aller Argumentationsleidenschaft für den Notkredit und Mehrausgaben in quasi sämtlichen Bereichen: Die Mahnungen der Rechnungsprüfer in Hinblick auf die riesigen Haushaltslücken, die Notlagen-Definition und die Notwendigkeit zur Ausgabendisziplin sind ja ebenfalls berechtigt. Die Kombination aus milliardenschweren Einnahmeausfällen bei gleichzeitig ebenfalls milliardenschweren Mehrausgaben kann kein Land auf Dauer aufrechterhalten. Und für Schleswig-Holstein gilt: Schon ab 2024 werden wir planmäßig die ersten Kreditschulden tilgen müssen. Aber Corona und die Folgen der Pandemie halten sich ja nicht an einen solchen Zeitplan. Spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem wir anfangen, die Kredite zurückzuzahlen, werden wir die Einschnitte konkret spüren. Dann werden wir reale Ausgabenkürzungen vornehmen müssen. Dann wird Corona erst „richtig“ durchschlagen, wenn man so formulieren will. Gleichzeitig werden wir bis dahin weiterhin gigantische Programme zur Krisenbewältigung brauchen. Und hier sehen wir auch weiterhin den Bund in der Pflicht. Insgesamt stehen die Weichen für die künftigen Haushalte jedoch auf Haushaltskonsolidierung und Ausgabendisziplin. Nur so werden wir auf den Pfad eines soliden, generationengerechten und zukunftsorientierten Haushaltes zurückfinden können. In der letzten Sitzung der AG Haushaltsprüfung hatten wir uns daher ja darauf verständigt, ein entsprechendes Fachgespräch mit externen Experten dazu zu führen und auf dieses freue ich mich auch schon sehr. Und auch auf die Haushaltsberatungen freue ich mich – der SSW wird wie immer mit konstruktiven Verbesserungsvorschlägen aufwarten.