Speech · 21.02.1997 Große Anfrage zur Aussiedlerbetreuung in Schleswig-Holstein

Eines dürfte die Beantwortung der Großen Anfrage zur Aussiedlerbetreuung deutlich gemacht haben: Heute brauchen deutschstämmige Einwanderer aus dem Osten nicht vorrangig Hilfe durch Menschen, die selbst aus dem Osten nach Deutschland gekommen sind; und sie brauchen erst recht keine Vereinnahmung durch jene, die nach Ende des Krieges aus dem ehemaligen deutschen Osten nach Deutschland gekommen sind. Sie brauchen schlicht und einfach dieselben Hilfen zur Integration, die auch die meisten nach Deutschland kommenden Ausländerinnen und Ausländer benötigen.
Die Bedürfnisse jener Menschen, die nach Deutschland kommen sind die gleichen, ob sie nun aus Kasachstan oder aus Kurdistan herkommen. Sie brauchen Unterstützung, Sprachkurse und Eingliederungshilfen, um sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Dabei ist es wirklich zweitrangig, ob diese Hilfe durch den Landesverband der vertriebenen Deutschen (LvD) oder andere Träger gewährleistet wird.


Die Fragen der CDU lassen vermuten, daß es bei dieser Großen Anfrage weniger um Spätaussiedler als um die Interessen der Vertriebenenverbände geht. Wie sonst will sie ihre Aussage erklären, daß jene Verbände am besten zur Betreuung von Spätaussiedlern geeignet seien, deren „Mitglieder selbst das Schicksal von Vertreibung und Neuanfang erlebt haben“? (Frage 7.c) Ich meine, daß Spätaussiedler heute in der Regel keine Vertreibung mehr erfahren. Im übrigen wären die Vertriebenenverbände nach dieser Einschätzung ja dann noch besser geeignet, um Asylbewerberinnen und Asylbewerber zu betreuen, und das werden Sie wohl nicht gemeint haben, oder?

Die Große Anfrage zur Aussiedlerbetreuung liegt auf der gleichen Linie, wie der CDU-Haushaltsentwurf für das Bildungsministerium. Dort hat sie einen großen Teil der für kulturelle Belange der Aussiedler und Förderung der Völkerverständigung vorgesehenen Mittel für den LvD beansprucht. Das ist eine Politik von gestern.

Die Große Anfrage zur Aussiedlerbetreuung in Schleswig-Holstein wirft abermals die Frage auf, ob die geltende Ausländergesetzgebung noch sinnvoll und zeitgemäß ist. Unserer Ansicht nach ist sie es nicht. Wir unterstützen jene Menschen, die quer über alle Parteigrenzen hinweg eine Einwanderungsgesetzgebung für Deutschland fordern.
Deutschland ist bereits ein Einwanderungsland mit all den Bereicherungen und Problemen, die eine multikulturelle Gesellschaft mit sich bringt. Wer das leugnet, ignoriert auf sträfliche Weise unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, macht sie zu Menschen zweiter Klasse. Wenn heute die Sprachkontrollen für Aussiedler geschärft worden sind, dann ist das ein Schritt in die falsche Richtung. Wenn in Deutschland geborene ausländische Kinder jetzt verschärften Visumregeln unterliegen, dann ist das schlicht unmenschlich. Wir denken, daß ein Einwanderungsgesetz die sauberste Lösung für eine Ausländer- und Einwanderungspolitik ist. Die bisherige Politik und das bisherige Recht der deutschen Blutsverwandschaft gehört in die Vergangenheit verbannt. Das haben glücklicherweise auch schon einige Christdemokraten erkannt.

Zuletzt möchte ich noch eine Anregung aufgreifen, die schon mein Vorgänger Karl Otto Meyer geliefert hat. Er hat vor knapp 2 Jahren eine kleine Anfrage bezüglich des Integrationsprogramms HIPPY gestellt. HIPPY (das heißt Home Instruction Program for Preschool Youngsters) ist ein in Israel entwickeltes Konzept, bei denen Mütter mit ihren Kinder Sprachübungen machen und durch regelmäßige Mütteranleitungen auch selbst Kompentenzen in Bezug auf das neue Land erwerben. Damals war die Antwort des Innenministers, man verfolge die Bremer und Nürnberger HIPPY-Modellversuche mit Aussiedlerkindern mit Interesse, würde aber die abschließende Auswertung durch das Deutsche Jugendinstitut abwarten. Dieser Bericht liegt seit geraumer Zeit vor: das Programm hat sich als effektiv und sehr kostengünstig erwiesen. Mir ist klar, daß die aktuelle Haushaltslage wenig Anreize bietet, neue Programme aufzulegen. Allerdings dürfen die angespannten Finanzen des Landes auch nicht dazu führen, daß wir politische Gestaltung völlig aufgeben und alle in die Rolle der Rechnungsprüfer und Sparkommissare schlüpfen. Ich denke, daß dieses Programm gerade wegen seiner verhältnismäßig niedrigen Kosten noch immer eine interessante Perspektive für die Aussiedlerbetreuung bietet. Daher erwarte ich mit Interesse auf die Aussage der Landesregierung darüber, wie sie jetzt zu HIPPY steht.

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