Speech · Lars Harms · 26.03.2021 Der Notausschuss sichert parlamentarische Handlungsfähigkeit in Katastrophenlagen

„Der Notausschuss kommt nur dann in Frage, wenn wir eine Katastrophenlage oder eine Pandemie haben, der Landtag seine Beschlussfähigkeit nicht herstellen kann und der Notausschuss mit 2/3 seiner Mitglieder die Notlage feststellt. Damit sind die Hürden extrem hoch.“

Lars Harms zu TOP 2 und 4 - Gesetze zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein (Drs. 19/2558 und 2777) 

Wenn wir eines mit Corona gelernt haben, dann, dass wir nichts als gegeben hinnehmen sollten. Wir können uns eben nicht so einfach verabreden, uns treffen und miteinander reden oder einfach ins Auto setzen und in einem Büro Entscheidungen besprechen. Die Pandemie wirkt sich bis in den letzten Winkel des Lebens aus und stellt auch die Politik vor neue Herausforderungen. Die Kommunalpolitik einiger Kommunen hat die Umsetzung digitaler Sitzungsformate immer noch nicht hinbekommen. Digitale Sitzungen waren ja vorher auch einfach nicht nötig. So mussten wir Alle quasi bei Null anfangen.
Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung ein dickes Lob aussprechen. Mit viel Kreativität und persönlichem Einsatz wird der Landtag am Laufen gehalten. Die Ausschusssitzungen laufen, die Plenardebatten, die Übersendung von Unterlagen – und das mit teilweise bizarren Technikproblemen. Vielen Dank, dass sich niemand entmutigen lässt und trotzdem immer eine Lösung findet. Vielen Dank für dieses Engagement!
Unsere Landesverfassung ist auf Notlagen dieser Art ebenfalls nicht vorbereitet. Und wenn man ehrlich ist, dann wundert einen das schon, wenn man bedenkt, dass es bisher schon zwei große Katastrophenereignisse in unserem Land gab: die Sturmflut 1962 und den Schneewinter 1978/1979.
Das lag wohl auch daran, dass es keine Mehrheit für so genannte Notregelungen gab, die die Handlungsfähigkeit der Politik sicherstellen sollen. Das mag an den Debatten um die Notstandgesetze Ende der 1960er Jahre liegen. Damals waren sich die Bürgerinnen und Bürger sicher, dass der Staat sie im Falle eines Notfalls ausbooten will. Die demokratische Festigung wurde generell infrage gestellt. Damals war das eine Grundsatzdebatte, an der die junge Bundesrepublik fast zerbrochen wäre. Das hat sich tief ins Gedächtnis gegraben. Und auch wenn die Katastrophen in Schleswig-Holstein einschneidend waren, haben die Bürgerinnen und Bürger die Exekutive als handlungsstark und handlungsmächtig erlebt und wertgeschätzt. Damals war das so. Auch an den Maßnahmen selbst gab es kaum Kritik. Darüber hinaus wurde die Notsituation in gemeinsamer Anstrengung und in sehr schneller Zeit überwunden. Gesetzesänderungen oder sogar eine Verfassungsreform standen damals fast folgerichtig nicht zur Debatte. 
Die Katastrophen liegen jetzt einige Generationen zurück. Heute setzen wir andere Prioritäten. Das haben wir auch im letzten Frühjahr gemerkt, als Corona Schleswig-Holstein erreichte. Der Landtag hat sich von Anfang an selbstbewusst zu Wort gemeldet und nicht der Exekutive allein das Feld überlassen. Der Landtag hat das Heft des Handelns in die Hand genommen und Prioritäten bei der Seuchenbekämpfung gesetzt. Ich denke hier nur an die Impfstrategie, die erst in den Fraktionen eine ganz andere Wendung bekam. 
In dieser Situation stellte sich aber fast zwangsläufig die Frage, wie die gewählten Volksvertreterinnen und -vertreter handlungsfähig bleiben können. Bisher haben wir uns mit einer aus der Not geborenen und befristeten Gesetzgebung beholfen, aber wir benötigen dauerhafte und verlässliche Strukturen. Es geht jetzt darum, sicherzustellen, dass wir politisch handlungsfähig bleiben, auch wenn der Landtag seine Beschlussfähigkeit nicht herstellen kann. 
Hier setzt der Gesetzesvorschlag an. Es ist quasi ein Vorratsbeschluss für den absoluten Notfall. Tritt der Landtag zusammen und stellt fest, dass eine Beschlussfähigkeit nicht hergestellt werden kann, dann versucht er im ersten Schritt, die Beschlussfähigkeit über eine hybride Sitzung herzustellen. Das heißt, dass sich ortsabwesende Abgeordnete über ein geschütztes System zuschalten können. Dieses System muss so beschaffen sein, dass keine Manipulationen möglich sind. Klappt dieses nicht, dann – und auch erst dann - tritt der Notausschuss an die Stelle des Landtags. Der Notausschuss besteht aus 11 Mitgliedern der Fraktionen und wird spiegelbildlich zum Landtag besetzt. Hier liegt das gleiche Prozedere zu Grunde, das auch bei der Besetzung der anderen Landtagsausschüsse zu Grunde liegt. Darüber hinaus ist festgelegt, dass je nachdem, wie viele Abgeordnete anwesend sein können, der Ausschuss auch vergrößert werden kann. Die zusätzlichen Sitze werden nach dem Höchstzahlverfahren verteilt. Damit ist sichergestellt, dass sowohl möglichst viele Abgeordnete als auch Abgeordnete aus Zusammenschlüssen, die keine Fraktion bilden, repräsentiert sein können. 
In einer Notsituation muss gewährleistet werden, dass keine Interessen dominieren, sondern dass gemeinsame Verfahren gefunden werden. Die Zeiten der einsamen Manager-Entscheidungen Einzelner sind – zumindest in der Politik – wohl ein für alle Mal vorbei. Der Austausch mit unterschiedlichen Sichtweisen bringt in der Regel die besseren Entscheidungen. Und darum befürworte ich ausdrücklich das Modell des Notausschusses.
Anders als der Name nahelegt, ist der Notausschuss in einer Notsituation nämlich nicht allmächtig. Der Notausschuss darf nur Beschlüsse zur Bewahrung der Handlungsfähigkeit des Landes treffen. Das ist eben gerade keine Trittleiter in eine Diktatur. Es gibt klar definierte und sehr begrenzte Funktionen. So darf auch die Verfassung keinesfalls geändert werden. Weder sind Änderungen der Geschäftsordnung möglich noch kann dem Ministerpräsidenten das Misstrauen ausgesprochen werden. Die Handlungsfähigkeit der Regierung bleibt gewährleistet. Personenwahlen sind durch den Notausschuss nicht möglich, sondern die bestehenden Amtszeiten werden verlängert. 
Ist die Notlage vorbei, muss der Landtag die Beschlüsse des Notausschusses bestätigen. Tut er das nicht, dann laufen diese Bestimmungen aus. 
Das sind weise Regelungen, die ausschließlich die Handlungsfähigkeit des Landes im Fokus haben. 
Ich möchte ausdrücklich betonen, dass der Notausschuss nur dann überhaupt in Frage kommt, wenn wir eine Katastrophenlage oder eine Pandemie haben, der Landtag seine Beschlussfähigkeit nicht herstellen kann und der Notausschuss mit 2/3 seiner Mitglieder die Notlage feststellt. Damit sind die Hürden extrem hoch. 
Zudem können Abgeordnete, die sich in ihren Rechten eingeschränkt sehen, vor das Landesverfassungsgericht ziehen. Auch hier ist eine Sicherung mit eingezogen worden, so dass man mit Fug und Recht sagen kann, dass das Instrument des Notausschusses erst unter genau beschriebenen Voraussetzungen zum Einsatz kommt. 
Ich hoffe von Herzen, dass es dazu niemals kommen muss. 

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