Speech · Lars Harms · 12.10.2023 Das Integrations- und Teilhabegesetz muss konkreter ausgestaltet werden

„Es ist weiterhin so, dass uns an vielen wichtigen Stellen die Informationen fehlen.“

Lars Harms zu TOP 40 - Erster Integrations- und Zuwanderungsbericht 2022 zur Umsetzung des Gesetzes zur Integration und Teilhabe vom 23. Juni 2021 (Drs. 20/1452)

Ich möchte mich vorab beim Sozialministerium, bzw. bei allen zuarbeitenden Ministerien für diesen Bericht bedanken. Er ist der erste seiner Art, sehr umfassend und weit in seiner thematischen Ausrichtung gefasst. Manchmal habe ich das Gefühl gehabt, weit gefasst, aber dadurch unkonkret. Das mag aber an seinem Bezugspunkt, dem Integrations- und Teilhabegesetz, wie es jetzt ausgestaltet ist, liegen. 

An einigen Stellen ist der Bericht überraschend genau, unterscheidet beispielsweise intensiv zwischen den verschiedenen Formen von Migration und zeigt so die vielfältigen und berechtigten Gründe, warum Menschen zu uns kommen. Erwerbs- und Bildungsmigration, humanitäre Migration, Spätausgesiedelte, jüdische Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion oder Zuwanderung von deutschen Staatsangehörigen. 
Auch die Auflistung von Zu- und Fortzügen aus den einzelnen Staaten insgesamt und dem damit einhergehenden Wanderungssaldo, das am Ende bleibt, fand ich aufschlussreich. 

Aber danach bleibt der Bericht an vielen anderen Stellen zu vage. 

Tatsächlich sammeln sich hier auf 160 Seiten Themen aus so vielen verschiedenen Bereichen, dass sich eine Ausschussüberweisung und eine dortige Thematisierung selbsterklärend anschließen muss. Denn wir wandern in der Lektüre des Berichts von verschiedenen Migrationsindikatoren, der interkulturellen Öffnung der Verwaltung, Bildung und Sprachförderung an den Schulen, der Landespolizei, Beratungsstellen und Ehrenamt im Sport bis hin zu Arbeitsmarkt, Gesundheit und Einbürgerung. Und gehen dabei doch kaum in die konkrete Umsetzung.

Der Integrationsbeirat wird genau an einer Stelle genannt, nämlich da, wo beschrieben wird, dass die Landesregierung vorsieht, ab Sommer 2023 einen Integrationsbeirat als beratendes Expertengremium zur Unterstützung der Landesregierung einzusetzen. 
Wir wissen alle miteinander, dass das nicht stattgefunden hat. 
Ein weiteres sehr konkretes Thema hätte das Welcome Center sein können. Aber das ist laut Bericht einfach weiterhin „geplant“. 

Gewundert habe ich mich außerdem über einen Satz zur Reform des Integrations- und Teilhabegesetzes. Diese sei in der parlamentarischen Befassung für das Jahr 2024 vorgesehen. 
Wir als SSW haben am 05.10.2022, also vor ziemlich genau einem Jahr, einen Änderungsantrag zum Integrations- und Teilhabegesetz eingereicht, an den sich bereits eine Plenardebatte sowie eine schriftliche und eine mündliche Anhörung im Innenausschuss angeschlossen hat. Die parlamentarische Befassung hat also schon stattgefunden. Das sollte am Ministerium auch nicht vorbei gegangen sein. 

Die zentralen Ergebnisse des Berichts lassen sich in aller Kürze vielleicht so zusammenfassen: 
Es ist weiterhin so, dass der Bildungserfolg auch in Schleswig-Holstein stark von der sozialen Herkunft und deutschen Sprachkenntnissen abhängt. 
Es ist weiterhin so, dass wir einen massiven Fachkräftemangel haben. 
Es ist weiterhin so, dass zu wenig Sprach- und Integrationskurse zur Verfügung stehen. 
Es ist weiterhin so, dass Integration in verschiedensten Bereichen, sei es Kultur, Sport oder Arbeit besser umgesetzt werden muss. 
Es ist weiterhin so, dass wir wohnräumliche Segregation verhindern müssen, um Teilhabe zu ermöglichen. 
Es ist weiterhin so, dass Armut ein alles entscheidender Faktor ist. 

Und, und das gilt leider auch für einige der gerade angesprochenen Bereiche, es ist weiterhin so, dass uns an vielen wichtigen Stellen die Informationen fehlen. Ich sage das vor allem für den Bereich Gesundheit. Der Bericht bleibt auf den Seiten 115-116 so inhaltslos, dass es wert ist, hier einmal zu zitieren: 
„Die Datenlage zum Gesundheitsstatus von Menschen mit Migrationshintergrund ist in Deutschland noch unzureichend. Menschen mit Migrationshintergrund unterscheiden sich stellenweise in ihrem Inanspruchnahmeverhalten von Leistungen des medizinischen und pflegerischen Versorgungssystems von der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund.“
Keine Information also. 

Der Bericht drückt für mich genau die Kritik aus, die wir am bisherigen Integrations- und Teilhabegesetz immer formuliert haben: er ist zu vage. Weil das Gesetz zu vage ist. 

Wir als SSW haben bereits unsere Vorschläge über unseren Änderungsantrag zum Integrations- und Teilhabegesetz eingebracht: 
Der bedarfsgerechte und kostenfreie Zugang zu Sprachkursen unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus. 
Die Ausweitung des Schulzugangs für volljährige Geflüchtete, um ihnen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, eine schulische Ausbildung an einer Berufsschule zu ermöglichen. 
Die vereinfachte Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse und Berufsausbildungen. 
Der Ausbau von Gesundheitsleistungen und psychotherapeutischen Angebote neben Verbesserungen im Pflegebereich für Seniorinnen und Senioren mit Sprachbarrieren. 

Die Anhörung im Ausschuss und dieser Bericht zeigen, dass das Integrations- und Teilhabegesetz konkreter ausgestaltet werden muss. 

Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden:
www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek/

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