Speech · 23.01.2004 Abschaffung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse
Als der Schleswig-Holsteinische Landtag 1993 ein Untersuchungsausschussgesetz verabschiedete, herrschte Aufbruchstimmung in diesem Haus. Die Ereignisse des Jahres 1987, die konstruktive Arbeit im Barschel-Pfeiffer-Untersuchungsausschuss und die Enquetekommission für die Verfassungs- und Parlamentsreform warfen ihre langen Schatten und prägten einen parlamentarischen Geist, der sich heute leider verflüchtigt hat. Nach zehn Jahren des politischen Alltags und vier weiteren Untersuchungsausschüssen ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen und das Untersuchungsausschussgesetz auf den Prüfstand zu stellen. Unsere Bilanz lautet: Die Untersuchungsausschüsse werden immer stärker zu politischen Kampfinstrumenten. Im Vordergrund steht die Fortsetzung des Wahlkampfes mit anderen Mitteln.
Natürlich ist es richtig, dass Untersuchungsausschüsse immer politische Kampfinstrumente waren und sein werden. Diese Erkenntnis ist übrigens auch nichts Neues. Schon die Enquete-Kommission zur Verfassungs- und Parlamentsreform schrieb 1988 in ihrem Schlussbericht, dass ein unlösbarer Widerspruch besteht, zwischen der praktischen Aufgabe von Untersuchungsausschüssen, die mit dem strafprozessualen Begriff der Wahrheitsfindung umschrieben wird und ihrer politischen Bedeutung als Kampfinstrument einer Gruppe von Abgeordneten. Die Enquete mahnt deshalb: Wie man von einem Richter nicht verlangen darf, dass er nach politischen Präferenzen urteilt, sollte man umgekehrt den Abgeordneten auch nicht an der Elle richterlicher Distanz und Unabhängigkeit messen wollen.
Es geht also gar nicht anders. Allerdings: Im Spannungsfeld zwischen Aufklärung einerseits und Parteienkampf andererseits hängt die Waage schon seit langem extrem schief. Es ist schwer zu vermitteln, worin noch der Wert der Untersuchungsausschüsse für die Demokratie also für die Menschen dort draußen liegen soll, wenn das Ziel der Aufklärung so stark in den Hintergrund rückt, wie es heute der Fall ist.
Die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses suggeriert der Öffentlichkeit die Möglichkeit einer objektiven Aufklärung, die er schon von seiner Form her nicht leisten kann. Deshalb stellt sich die Frage, wozu das ganze noch gut sein soll. Es ist eine enorme Verschwendung von öffentlichen und privaten Ressourcen, wenn der Ausschuss wöchentlich Abgeordnete, Beamte, Fraktionsmitarbeiter, Journalisten und Anwälte davon abhält, sinnvolleren Tätigkeiten nachzugehen. Ich glaube nicht einmal, dass es parteipolitisch besonders produktiv ist. Die wenigen Bürger, die noch bei Nachrichten aus dem Untersuchungsausschuss interessiert hinhören, wissen ohnehin, was dabei herauskommt: Die Opposition hält die Regierung für unfähig und kriminell, die Regierungsfraktionen finden alles nicht so schlimm; beide Seiten nutzen nur jene Zeugenaussagen und Fakten, die ihnen ins Konzept passen. Angesichts der massiven Propaganda kann von Aufklärung kaum die Rede sein.
Aber natürlich gibt es weiterhin ein öffentliches Interesse an der demokratischen Aufarbeitung von politischen Skandalen. Diese kann das Parlament nicht allein der Justiz überlassen, denn es geht nicht nur um juristisch relevante Skandale, sondern auch um politische Verantwortung. Das Parlament und die Öffentlichkeit brauchen ein Untersuchungsinstrument, das bei Verdacht eines Misstands in der Regierung schnell und effektiv eingesetzt werden kann.
Angesichts der grundsätzlichen Mängel der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse stellt sich aber die Frage, ob es nicht etwas Besseres gibt. Der SSW schlägt vor, das Instrument des parlamentarischen Untersuchungsausschusses probeweise oder dauerhaft abzuschaffen und durch unabhängige Richteruntersuchungen zu ersetzen. Wir wollen, dass das Parlament einen Richter oder ein Richtergremium beauftragen kann, bestimmte Sachverhalte in der Regierung zu untersuchen. Das heißt: Der Landtag erteilt den Auftrag und bestimmt was untersucht werden soll. Die Richter führen eine öffentliche Untersuchung durch und tragen die Fakten in einem Bericht für den Landtag zusammen. Der Landtag liest den Bericht und gibt dann seine politischen Bewertungen des Sachverhalts ab. Das halten wir für eine saubere Sache. Die Untersuchung wird schnell, professionell und sachgerecht durchgeführt. Und wir vermeiden, dass schon die Beweiserhebung zu einer politischen Schlammschlacht wird, bei der kaum jemand durchblickt, der nicht im Untersuchungsausschuss sitzt.
Damit die Minderheitenrechte gewahrt bleiben, muss auch weiterhin eine unabhängige Untersuchung beantragt werden können, wenn ein Fünftel der Abgeordneten dies wünscht. Damit die Persönlichkeitsrechte Dritter unberührt bleiben, muss bei solchen Untersuchungen die Strafprozessordnung gelten. Außerdem muss festgelegt werden, wie die politische Leitungsebene zur Mitwirkung an der unabhängigen Richteruntersuchung verpflichtet wird.
Der Vorteil einer solchen Reform liegt auf der Hand: Eine unabhängige Richteruntersuchung kann nicht auf die gleiche Weise einseitig als politisches Kampfinstrument missbraucht werden. Gleichzeitig werden die Kontrollrechte des Parlaments gegenüber der Regierung aber nicht geschwächt auch wenn mehrere Kolleginnen und Kollegen diese Auffassung vertreten haben. Denn die politische Bewertung der Ergebnisse der unabhängigen Richteruntersuchung steht selbstverständlich weiterhin dem Parlament zu. Lediglich die konkrete Vernehmung von Zeugen und die Erhebung von Informationen wird an unabhängige Fachleute übertragen.
Wir glauben, dass dieses der richtige Weg ist, um wieder Vertrauen in die demokratische Aufarbeitung politischer Skandale zu schaffen. Außerdem hat eine solche Untersuchung den bestechenden Vorteil, dass ein Richtergremium wesentlich häufiger tagen könnte als viel beschäftigte Parlamentarier. Die Beweiserhebung könnte wesentlich schneller vonstatten gehen. Dadurch erhielte das Parlament die Möglichkeit, einen Skandal parlamentarisch aufzuarbeiten, bevor die Menschen vergessen haben, weshalb überhaupt eine Untersuchung eingeleitet wurde. Es kann also keine Rede davon sein, dass wir der Opposition ein scharfes Schwert entreißen wollen im Gegenteil: es soll wieder geschärft werden.
Die Einführung richterlicher Untersuchungen ist kein skurriler Einfall einer Minderheitenpartei. Das zeigt schon die Tatsache, dass sich auch Mitglieder anderer Untersuchungsausschüsse in Deutschland ebenso Gedanken in diese Richtung gemacht haben zuletzt Mitglieder des Lügenausschusses auf Bundeseben.
Die Idee der unabhängigen Richteruntersuchungen ist aber nicht nur naheliegend, sie ist auch erprobt. Es gibt schon Vorbilder aus anderen Demokratien, die zeigen, dass es praktisch umsetzbar ist und gut funktioniert. Natürlich finden diese Untersuchungen in anderen Rechtssystemen statt und die Spielregeln sind teilweise andere, als wir uns vorstellen. Die Beispiele zeigen aber grundsätzlich, dass wir heute bestimmt keinen unrealistischen Weg anstreben.
Im angelsächsischen Rechtsraum hat sich die unabhängige Richteruntersuchung bewährt. Das aktuellste Beispiel ist die Aufklärung des Kelly-Selbstmordes in Großbritannien. Der britische Oberrichter Lord Hutton steht einer unabhängigen Untersuchung vor und legt seinen Bericht in der kommenden Woche dem Parlament vor. Alle beteiligten Regierungsmitglieder waren zur Aussage verpflichtet und die Regierung musste alle relevanten Akten herausgegeben. Auch für die Opposition wäre es viel vorteilhafter, wenn der Lordrichter in der kommenden Woche vor laufenden Kameras im Parlament Premierminister Blair belastet, als wenn monatelang ein Oppositionsabgeordneter die Regierung beschuldigt hätte.
In Dänemark können unabhängigen Richteruntersuchungen vom Parlament oder von der Regierung beantragt werden. Auch das dortige Beispiel zeigt deutlich, dass unabhängige Richteruntersuchungen bestimmt nicht die Opposition schwächen: 1993 stürzte die bürgerlich-konservative Regierung von Staatsminister Poul Schlüter sogar aufgrund einer unabhängigen Richteruntersuchung zur so genannten Tamilen-Affäre.
Der Kollege Kubicki wird jetzt natürlich noch ein drittes prominentes Beispiel anführen wollen: die Untersuchung des Sonderermittlers Kenneth Starr gegen Präsident Bill Clinton 1998. Dieses Beispiel hat mit unserem Antrag allerdings so wenig zu tun, wie ein katholischer Inquisitor aus dem Mittelalter mit einem deutschen Richter von heute. Starr hat auf einer vollkommen anderen Grundlage ermittelt, als wir es hier vorschlagen. Eigentlich hatte er den Auftrag, den Whitewater-Finanzskandal aufzudecken. Starr wurden aber so freie Hände gelassen und so viel Geld zur Verfügung gestellt, dass er seinen persönlichen Kreuzzug gegen Clinton auf dessen persönliche Betreuung von Praktikantinnen ausweiten konnte. Niemand kann unterstellen, dass wir so etwas im Sinn haben oder dass unser Antrag solche Konsequenzen hätte. Es wäre zu billig und unter dem Niveau dieses Hauses, unseren Antrag durch solche falschen Parallelen lächerlich machen zu wollen.
Der vorliegende Antrag des SSW ist der Versuch, eine konstruktive Diskussion um ein Problem zu beginnen, das nicht nur wir hier im Parlament wahrnehmen. Deshalb hoffe ich, dass alle Kolleginnen und Kollegen im Innen- und Rechtsausschuss sich sachlich an dieser Debatte beteiligen werden. Wir haben bewusst darauf verzichtet, jetzt eine konkrete Lösung als Gesetzentwurf vorzulegen, weil wir jetzt keinen unnötigen Streit um Details, sondern eine grundsätzliche Verständigung wünschen. Wir schlagen vor, neue Wege zu beschreiten und haben eine Richtung angeregt. Wann wir aufbrechen und welchen Kurs wir nehmen, darauf sollten wir uns im Dialog verständigen.